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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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gibt.«
    »Ach, für einen Hund hast du also noch Zeit?« Ihre Stimme klang spitz.
    »Das ist zu kompliziert, als dass ich dir das jetzt erklären könnte, Brigitte. Sei mir nicht böse, wir sind mitten in einem Fall und ich habe extrem wenig Zeit.«
    »Ich habe Evas Tagebuch gelesen, Erich.«
    »Du hast – was?«
    »Ich weiß selber, dass man das nicht machen sollte, aber ich war so verzweifelt und ich habe mir keinen Rat gewusst. So hör doch mal, was sie geschrieben hat. Hast du einen kleinen Moment Zeit? Bitte.«
    »Also gut. Lass hören.«
    Brigitte las: »Das Urteil wurde über mich gesprochen. Ich bin gerichtet. Die anderen sind fort.
    Nun endlich sind sie mit mir fertig – nun endlich kann man mich in der allgemeinen großen Buchführung fest eingeben, als – erledigt. Das hat wohl etwas Beruhigendes – für sie.
    Ich bemerke eine Haarsträhne, die sich gelöst hat und eilig mit dem Wind von mir fortzustreben sucht. Geduld! Bald wirst du dich aus der mürben Haut lösen können, um mit dem Wind zu spielen.
    Mein Mund ist voller Erde, meine Ohren voller Blut. Meine Hände sind leer. Es ist nichts in ihnen, das sich zu fühlen lohnt.«
    Bloch spürte einen leisen Anflug von Grauen. Vor seinem inneren Auge tauchte das ausgemergelte Gesicht seiner Tochter auf. Das Gesicht der Mumie schob sich wie in einer Doppelprojektion darüber. Er fror. Churchill winselte.
    »Erich, du schweigst?«
    »Ja, Brigitte. Ich überlege gerade, wie ernst wir das nehmen sollen. Vielleicht sind es nur erste literarische Versuche?«
    »Literarisch?« Brigittes Stimme kippte wieder ins Schrille. »Literarisch nennst du das? Das ist ein Versuch, ja, da gebe ich dir recht. Aber das hat nichts mit Literatur zu tun, das ist die Ankündigung ihres Suizides. Erich, bitte hilf mir. Wir müssen etwas tun!«
    Bloch zog die Schublade des Telefontischchens auf und nahm das Foto in die Hand, das dort seit über 20 Jahren lag. Er hatte es schon seit vielen Jahren nicht mehr betrachtet. Es hatte keine Notwendigkeit bestanden. Das Foto – ein aus der Zeit herausgestanztes Stück.
    Brigitte saß auf dem Rand des Kaiserbrunnens an der Marktstätte. Das Wasser sprudelte und gleißte um sie herum. Sie trug ihr Haar in der Mitte gescheitelt, ein besticktes Stirnband und Indianerzöpfe. Ein Lächeln, das wohl geheimnisvoll sein sollte, umspielte ihre Lippen. Damals war Brigitte noch viel zu jung gewesen, um geheimnisvoll zu sein. Damals gab es keine Geheimnisse, jedenfalls keine, die sich lohnten. Auf ihrem Schoß hielt Brigitte das Baby, das begeistert mit zwei winzigen, nagelneuen Zähnchen in die Kamera strahlte. Eva bestand nur aus Ringen von Babyspeck und aus einer Unzahl kleiner Lachgrübchen.
    Was war Evas Geheimnis?
    Wann hatte er sein Kind verloren?
    »Einverstanden, Brigitte. Gib eine Vermisstenanzeige auf. Ja, auch in meinem Namen. Aber erwarte nicht zu viel. Ich habe keine Ahnung, wie dieser Tag verlaufen wird. Vielleicht muss ich heute noch raus nach Zürich.« Falls seine Tochter verschwunden wäre, müsste er doch etwas spüren. Eine innere Stimme, eine Art Instinkt oder etwas in dieser Art.
    Als er auflegte, war er sich nicht mehr sicher, ob er sich überhaupt von Brigitte verabschiedet hatte.

20. Kapitel
    Im Präsidium war der Teufel los.
    Professor Gräber hatte Cenk bereits die Hölle heiß gemacht und wandte sich beim Eintreten Blochs in gewohnt cholerischer Weise an ihn.
    »Schön, dass Sie es auch mal für nötig halten, zu erscheinen! Meine Mitarbeiterin sitzt in Untersuchungshaft und ich werde nicht informiert. Kollege Zumkeller aus Zürich wurde ebenfalls verhaftet. Ja, haben Sie denn gar nicht darüber nachgedacht, welchen Schaden Sie unseren Instituten zufügen? Gibt es hier niemanden, der einen klaren Gedanken fassen kann? – Ihre Aufgabe ist es doch wohl, den Mörder des verehrten Kollegen Hoffmann zu fassen und nicht uns Forscher mit Dreck zu bewerfen!« Er machte eine Pause und griff sich schwer atmend ans Herz.
    »Der verehrte Kollege Hoffmann – sieh mal einer an.« Bloch konnte einen ironischen Zwischenton nicht unterdrücken. »Gestern haben Sie sich da aber noch ganz anders geäußert. Was stellen Sie sich eigentlich vor? Hoffmann hat sich höchstselbst den Schädel mit einer Axt gespalten? Haben Sie gestern etwa nicht durch Ihre eigene Aussage die Assistentin Löble schwer belastet? Was soll dieses Theater, Herr Professor Gräber? – Jetzt denken Sie doch erst einmal nach, bevor Sie uns hier mit Unterstellungen

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