Die Vogelfrau - Roman
Ihren Bericht. Und wenn Ihnen noch etwas zu diesem verworrenen Spurenbild einfallen sollte, dann wäre ich sehr dankbar für eine Erklärung. Danke, wir finden alleine zurück!«
21. Kapitel
Alleine würde ich nie mehr zurückfinden.
Es ist so, als ob ich nur noch in mir drin unterwegs bin. Es gibt keine Welt mehr da draußen.
Topsannah hat meinen kahlen Schädel mit einem Tuch umwickelt, damit ich nicht friere. Aber ich friere sowieso ständig.
Nun stehe ich endlich vor der Haustür. Die Treppe hinabzusteigen, hat mich alle Kraft gekostet. Jetzt muss ich noch den langen Weg gehen. Den Weg durch eine versunkene, völlig fremde Welt.
Ich werde langsam einen Fuß vor den anderen setzen und dabei atmen, so wie es der Meister mir beigebracht hat.
Dann schaffe ich es vielleicht.
Topsannah wird mich stützen.
Ihre Nähe ist mir zuwider.
Wir gehen an einem grob geflochtenen Drahtzaun vorbei. Der Wind hat bunte Blätter in seine Maschen geweht. Sie bilden ein Muster. Es sieht aus wie ein Muster aus Buchstaben. Es ist eine Botschaft. Eine Botschaft für mich.
Topsannah zieht mich viel zu schnell vorbei. Meine Füße schleifen durch das raschelnde Laub. »Komm, streng dich ein bisschen an«, murrt sie.
Ich habe die Botschaft nicht entziffern können.
»Kennen Sie jemanden, der Ihnen neue Kleidung vorbeibringen könnte?«
Es entstand eine lange Pause.
Bloch suchte einen möglichst unverfänglichen Einstieg in die Vernehmung der Löble. Jetzt nannte er es Vernehmung und nicht mehr Gespräch, wie damals, als sie das erste Mal miteinander redeten. Jetzt war Christina Löble ein Untersuchungshäftling.
Die junge Frau saß ihm bleich und übernächtigt gegenüber. Ihre verklebten Haare standen wirr durcheinander, so, als habe sie sich mit allen zehn Fingern gekämmt. Ihre Augenlider waren geschwollen und gerötet. Ob es vom Weinen kam oder vom mangelnden Schlaf, vermochte der Kommissar nicht zu unterscheiden.
Zwischen ihnen stand ein Diktiergerät. Cenk war so freundlich gewesen, das Abtippen von Blochs handschriftlichen Notizen zu übernehmen. Beide Sekretärinnen hatten sich heute Morgen krank gemeldet.
Virusgrippe.
Ihnen blieb nichts erspart.
»Versuchen Sie es«, hatte Bloch gesagt. »Sie tippen sowieso schneller als ich. Ich bringe es dann später in die richtige Form.« Später, das hieß nach der Vernehmung, aber vor der Pressekonferenz. Dezernatsleiter Graf erwartete das Protokoll noch im Laufe des Vormittags.
Aber wie sollte er rechtzeitig fertig werden, wenn die Löble weiter so hartnäckig schwieg?
Bisher war sie doch recht mitteilungsfreudig gewesen. Aber heute lief sowieso alles schief. Das hatte ja schon mit der kaputten Kaffeemaschine angefangen. Und dann sollte er sich auch noch um das Verschwinden seiner Tochter kümmern.
Bloch drängte den Gedanken an Eva rasch zur Seite. Solche Überlegungen störten ihn jetzt nur bei der Arbeit.
»Wie Sie sehen, haben wir jetzt ein Tonbandgerät. Sie brauchen also keine Angst zu haben, dass etwas Wichtiges verloren geht. Sobald Sie sprechen, werde ich die Aufnahmetaste betätigen.«
»Ja, alles klar.« Die Stimme der Löble klang rau. »Aber Sie können sich vielleicht vorstellen, dass mich dieses Ding auch nicht gerade beruhigt. Haben Sie nicht noch jemand anderen verhaftet – oder musste nur ich dran glauben?«
Bloch drückte hastig die Aufnahmetaste.
»Wen sollten wir denn Ihrer Meinung nach außerdem verhaften, Frau Löble?«
»Weiß nicht, das ist doch nun wirklich Ihr Job, das herauszufinden. Habe ich Ihnen immer noch nicht genügend sachdienliche Hinweise gegeben?«
»Ja, das ist wohl wahr. Hinweise haben wir inzwischen reichlich. Nur – da passt so einiges nicht ...«
Er wurde unterbrochen. Cenk streckte seinen maulwurfsbepelzten Kopf durch die Tür. »Chef? Darf ich einen Moment stören? Ich kann eine Sache nicht entziffern. Tschuldigung.« Er grinste entwaffnend. Es war bestimmt ein gutes Gefühl, so jemanden wie Cenk zum Freund zu haben.
Bloch trat hinaus auf den Gang. Cenk hielt ihm das Notizbuch mit seinem eigenen Geschreibsel vor.
Das sollte er geschrieben haben? Er musste wirklich sehr müde gewesen sein. Bloch buchstabierte hin und her und wurde nicht recht schlau aus diesen Hieroglyphen. »Ehrlich ...«, las er. Ehrlich, dachte er, das bin doch ich. Ehrlich, so hat die Eva mich immer genannt, nicht Erich. Verdammt, jetzt konzentrier dich.
»Ehrlich gesagt, er glaubte ...« Bloch steckte schon wieder fest. Die Tür öffnete sich.
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