Die Vogelfrau - Roman
Erde.
Ich muss während der ganzen Zeremonie stumm bleiben. Das hat mir Topsannah eingeschärft.
Ich könnte sowieso kein Wort herausbringen. Die Hitze nimmt mir den Atem.
Der Meister sieht mich nicht an. Er singt mit tiefer Stimme die uralten Gebete. Sein Körper glänzt vor Schweiß.
Er wiegt sich vor und zurück.
Vor und zurück.
Ohne Pause.
Vor und zurück.
Um mich herum schwankt es.
Der Boden atmet.
Ein Herz schlägt.
Ich befinde mich im Bauch von Mutter Erde.
Ein Herz schlägt.
Etwas atmet in mich hinein.
Der Leib der Erde bewegt sich. Ich lege mich hin und lasse mich tragen. Der Meister murmelt Segenssprüche und bespritzt die heißen Steine mit Wasser. Nebel hüllt mich ein. Ich ziehe die Schenkel an die Brust und krümme mich zusammen.
Churchill sah so missmutig aus, wie ein Hund nur aussehen kann, den man brutal aus seinem Vormittagsschläfchen herausgerissen hat. Er stand auf der ziegelroten Arbeitsfläche in Meyers Labor. Sein Fell war mit einer farblosen, aber für Hundenasen ungemein widerlich riechenden Flüssigkeit besprüht worden. Churchills Nase war so flach, dass er sie nicht rümpfen konnte. Also nieste er vernehmlich.
Meyer betätigte den Lichtschalter.
»Das ist doch nicht möglich«, entfuhr es Kommissar Bloch.
»Super-Effekt, Herr Meyer! Das muss der Neid Ihnen lassen – die reinste Lightshow!« Cenk konnte die Euphorie in seiner Stimme nur mühsam zügeln.
Meyer trat vorsichtig näher.
Churchills linke Körperhälfte erstrahlte in einem fast überirdischen Azurblau. »Das müssen wir unbedingt fotografieren. Cenk, holst du mal rasch die Kamera?«
»Sie brauchen nicht runterzulaufen, ich habe alles hier.« Meyer zog eine Schublade auf, holte eine winzige Digitalkamera heraus und kramte nach einem Stativ. »Ich bin gleich so weit.« Er zog dem Stativ die teleskopartigen Spinnenbeine auseinander und schraubte die Kamera fest.
Churchill beobachtete das aufgeregte Treiben mit tiefem Misstrauen. Er wäre wohl am liebsten heruntergesprungen, aber die Arbeitsfläche war so hoch, dass er sich, ungelenk und fettleibig wie er war, bei dieser Aktion sicher alle Beine gebrochen hätte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich schnaufend hinzulegen und diesen widerwärtigen Menschen sein Hinterteil zuzukehren.
Meyer hatte endlich die Kamera ausgerichtet. Churchill schnarchte, dass die vor ihm stehenden Reagenzgläser leise klirrten.
»Churchill – hopp! Aufstehen und lächeln! Du wirst fotografiert!« Cenk klatschte in die Hände.
Churchill schnarchte. Die Reagenzgläser klirrten.
Auch Churchills Hinterteil leuchtete azurblau.
»Dann nehmen wir ihn erst mal von dieser Seite auf«, entschied Kommissar Bloch. Meyer betätigte den Auslöser. Churchill zuckte beim leisen Surren der Kamera kurz mit den Stummelohren, bewegte sich aber ansonsten nicht im Geringsten.
»Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als ihn hochzuheben. Hilfst du mir, Cenk? – Und Sie machen dann so schnell wie möglich die Fotos, Herr Meyer?«
»Wird gemacht.« Meyer ging in Positur.
Cenk krempelte sich die Ärmel hoch. »Geht die blaue Farbe ab?«
»Nicht der Rede wert. Wie Sie wissen, können wir selbst in zwölftausendfacher Verdünnung Blutspuren nachweisen.«
»Halten Sie den Kopf, Chef – oder soll ich?«
»Der Kopf ist vielleicht der edlere Körperteil, Cenk. Meinst du, der beißt?«
»Ach was, der hat noch keiner Seele etwas zuleide getan. Der hat doch sogar dabei zugeschaut, wie sein Herrchen abgemurkst wurde, ohne Krach zu schlagen.«
»Na, nehmen wir mal an, du hast recht, Cenk. Also, ich den Kopf und du den Hintern.«
Sie packten zu. Churchill war weitaus schwerer als erwartet. Er ließ ein leises, aber gut vernehmliches Knurren hören.
Bloch ließ sofort los.
»Also, beißen lasse ich mich nicht.«
Cenk redete begütigend auf Churchill ein. Der hörte zwar auf zu knurren, bewegte sich jedoch immer noch nicht.
»Wahrscheinlich stinkt das Zeug, mit dem wir ihn eingerieben haben, entsetzlich, Chef. Hunde haben ja viel empfindlichere Nasen. Jetzt ist er eben misstrauisch.«
»Wir brauchen die Fotos aber unbedingt. Komm Cenk, versuchen wir es eben noch mal. Jetzt du von vorne und ich hinten.«
Wieder zogen und zerrten sie mit vereinten Kräften. Das Ergebnis war negativ. Meyer verließ die Kamera und trat zur Arbeitsfläche.
»Guter Hund«, sagte Meyer und nestelte in seiner Kitteltasche herum. Stanniolpapier knisterte. Churchill stellte beide Ohren auf. Sein Atem ging
Weitere Kostenlose Bücher