Die Vogelfrau - Roman
Das bleiche Koboldgesicht der Löble schaute heraus.
»Ehrlich gesagt, Professor Hoffmann glaubte, dass der Kollege Zumkeller ihm die Mumie untergejubelt hatte. So in etwa habe ich das gesagt, haben Sie es schon vergessen, Herr Kommissar? Haben Sie auch vergessen, den sauberen Zumkeller verhaften zu lassen? Soll ich jetzt immer noch das Opferlamm für die hohen Herrschaften spielen?« Kalte Wut sprach aus ihren Augen.
»Nein, ich meine, ja. – Lassen wir doch diese unsinnigen Diskussionen. Cenk, haben Sie es gehört? Frau Löble hat es deutlich genug gesagt.«
»Geht klar, Chef. Den Rest bekomme ich entziffert. Kein Problem.«
Cenk war der gute Geist in seinem Leben. Cenk machte ihm warm ums Herz. Und die Löble? Bei der Löble schwieg seine innere Stimme. Bei der Löble waren Blochs Gefühle im höchsten Maße unklar.
Das Aufnahmegerät lief noch.
»Frau Löble, erst einmal geht es hier um Sie persönlich und nicht um Professor Zumkeller. Alles zu seiner Zeit, nicht wahr?«
Pure Empörung schlug ihm entgegen. Offenbar zügelte sie ihre Wut nur noch mit Mühe.
»Spielen Sie Schach, Herr Kommissar?« Sie zischte mehr, als dass sie sprach.
»Früher mal. Ja, früher habe ich regelmäßig gespielt.«
Jetzt spiele ich nur noch gegen mich, dachte Bloch. Und selbst das viel zu selten.
»Wissen Sie, was ein Bauernopfer ist?«
»Ja, schon – aber ...«
»Kein aber, Herr Kommissar.
Ich
bin das Bauernopfer in diesem miesen Spiel, das ist doch sonnenklar. Begreifen Sie das nicht?«
»Frau Löble, an Ihrer Stelle würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen.«
»Was soll denn
das
heißen?« Hektische rote Flecken erschienen auf ihrer dünnen, trockenen Halshaut und breiteten sich nach unten aus. Sie trug ein verschwitztes, hellgraues T-Shirt, das ihre kräftigen, bleichen Oberarme freiließ. Unerwarteterweise hatte sie eine Tätowierung am linken Oberarm. › TOMMY ‹ stand dort in halb zerlaufenen Lettern. Wahrscheinlich eine Jugendsünde.
»Der Pullover, den Sie uns freundlicherweise überlassen haben, weist Blutspuren auf.«
»Das weiß ich längst«, murrte sie gereizt. »Das habe ich Ihnen doch alles heute Nacht schon erzählt – völlig freiwillig übrigens. Und da wollen Sie mir jetzt einen Strick draus drehen?«
»Ich will gar nichts, Frau Löble. Mir bleibt aber nichts anderes übrig.« Bloch erklärte ihr genauestens, was Kollege Meyer von der Spurensicherung herausgefunden hatte. Das Gesicht der Löble blieb unbewegt. Die roten Flecken auf ihrer Haut verblassten allmählich.
»Das ist eine anerkannte wissenschaftliche Methode«, schloss Kommissar Bloch. »Sie sollten diese Ergebnisse nicht in Zweifel ziehen, sondern sich den Konsequenzen stellen.«
»Ja, ja, die Wissenschaft. Gell, Herr Kommissar, da sind wir wohl beide gebrannte Kinder, oder etwa nicht?« Ein listiger Kobold grinste ihn schelmisch an.
Die hat ja Charme, durchfuhr es Bloch. Die hat wirklich Charme – so, wie ein besonders guter Kumpel, mit dem man nach Feierabend gern ein Bier trinken geht. Ein Kumpel, bei dem man sich aussprechen kann, wenn es daheim nicht mehr so gut läuft.
Rasch versteckte sich der Kobold wieder.
»Heutzutage untersuchen die Wissenschaftler restlos alles.«
Bloch ließ sie einfach reden.
»Restlos alles wird untersucht«, wiederholte die Löble. »Aber verstehen wir deshalb irgendetwas besser? Ich meine, irgendetwas von Bedeutung? – Ich sehe es Ihnen an; Sie wissen auch keine Antwort.« Die Löble atmete heftig aus. »Wir verstehen nämlich nichts«, stellte sie trocken fest. »Absolut gar nichts. Nehmen Sie zum Beispiel die Mülltrennung. Auch so ein Ergebnis wissenschaftlicher Denkweise. Wir trennen alles. Wir bringen uns fast um, um das Geld zu verdienen, mit dem wir uns dann die Dinge kaufen, die unser Leben ausmachen – und dann?«
»Ja, Frau Löble, was dann?«
Was hatte das noch mit einer Vernehmung zu tun? Lockte sie ihn aufs Glatteis? War der Aufnahmeknopf noch gedrückt?
Das Gerät spulte gleichmütig die Tonbandkassette weiter.
»Wir zerlegen unser Leben in Einzelkomponenten und entsorgen sie in getrennten Mülltonnen. Dann schmeißen wir es wieder zusammen, wir exportieren es, wir reimportieren es, wir machen Granulat daraus oder pressen es in neue Formen. Aber wir können machen, was wir wollen, es bleibt immer nur das Gleiche. Das ist es, was die Dinge mit uns tun – wir Idioten meinen, wir hätten unser Leben im Griff. In Wirklichkeit ist es aber genau anders herum. Es
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