Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
Vom Netzwerk:
unheimlich hart, wenn ein Angehöriger stirbt«, sinnierte Cenk weiter. »Aber so zu leben, mit dieser ewigen Ungewissheit, mit dieser unsinnigen Hoffnung, die sich dann doch nicht erfüllt. Das ist so, als ob das Leben stehen bleibt. Man hat ja noch nicht einmal ein Grab.«
    Cenk sprach, als kenne er sich in solchen Angelegenheiten bestens aus.
    Warum waren eigentlich Cenks Eltern damals nach Deutschland gekommen? Das musste in den 70er-Jahren gewesen sein. War es nur wegen der Arbeit gewesen? Welche Gräber hatten Cenks Eltern zurückgelassen?
    Ilse Bloch lag in einem Grab im Münsterland. Beruhigend weit weg. Sie lag neben ihrem früh verstorbenen Mann in harter, vorwinterlich gefrorener Erde.
    Ihre Knochen ruhten hoffentlich in Frieden.
    Das gelbe Verkehrsschild signalisierte die Abzweigung zum Naturschutzgebiet Wollmatinger Ried.
    Cenk setzte den Blinker.
    Das Blaulicht zuckte unruhig.
    Ilse Bloch ruhte aus von einem Leben voll unverständlicher Mühen. Erich Bloch konnte nur hoffen, dass sie für immer unter der Erde blieb.

24. Kapitel
    Der Rettungswagen stand schon auf dem Parkplatz. Brandgeruch lag fett über dem Röhricht. Bloch bückte sich unter dem rot-weißen Absperrband hindurch und betrat den schmalen Pfad, der zwischen steif-starren, übermannsgroßen Halmen zum Seeufer führte. Im Röhricht huschte und knisterte es. Unsichtbare Wellen schwappten träge und verliefen sich auf dem sumpfigen Grund.
    Bloch traute dem Boden nicht. Der knisterte silbrig unter jedem Schritt und trug nur deswegen, weil er leicht gefroren war.
    »Wenn das hier auftaut, dann steht man bis zu den Waden im Schlamm«, bemerkte er zu Cenk, der sich ebenso vorsichtig einen Weg suchte.
    Cenk zog witternd die Luft ein. »Dieses Jahr wird es früh Winter. Es riecht schon nach Schnee.«
    »Es stinkt nach verbranntem Müll«, sagte Bloch. »Dass das Zeug überhaupt brennt, bei dieser Feuchtigkeit?«
    Sie betraten eine hölzerne Plattform, die aus unordentlich zusammengeschobenen Europaletten bestand. Von dort aus hatten sie eine gute Sicht auf die Szene am Ufer. Ein junger, bärtiger Mann im khakifarbenen Anorak gab einem eifrig mitschreibenden Polizisten Auskunft. »Das ist bestimmt dieser ehrenamtliche Mitarbeiter des BUND«, mutmaßte Cenk. »Der hat den Rauch gesehen und sofort die Polizei verständigt. Zuerst haben sie gedacht, dass da jemand mitten im Naturschutzgebiet ein Lagerfeuer angezündet hat. Aber dann, na ja, Sie sehen es ja selber ...«
    Rechts von ihnen kokelten die schwarz verfärbten Reste einer kuppelförmigen Hütte. Es stank nach verbrannten Haaren. Vor der Hütte bemühten sich zwei Sanitäter um eine leblose Gestalt, die in eine goldfarbene Rettungsfolie eingehüllt war. Der kleinere der beiden Sanitäter, ein drahtiger, rothaariger Mann, hockte dicht neben dem Gesicht der Gestalt und hantierte mit einem Beatmungsbeutel herum. Seine weißen Schuhe versanken im Schlamm. Einmal wandte er den Blick vom Gesicht seines Patienten zu den Schuhen. Als er die braunen Dreckränder sah, huschte ein Ausdruck aufrichtigen Bedauerns über sein sommersprossiges Gesicht. Aber sofort wandte er sich wieder mit professioneller Aufmerksamkeit seiner Arbeit zu.
    Der andere, ein bulliger, strohblonder Typ, hatte gerade eben eine Infusion angelegt, stand auf, hielt die Infusionsflasche hoch und beobachtete, wie die wasserklare Flüssigkeit im Arm des Patienten verschwand. Ein nackter Arm, puppenhaft schmal und schwarz verfärbt von Ruß, ragte steif aus dem knisternden Gold der Folie. Dort, wo die Infusionsnadel steckte, hatten sie die Haut zuvor gereinigt. Es war ein bleicher Fleck in all dem Schwarz.
    Bei der ausgestreckten Gestalt handelte es sich um eine aufs Äußerste abgezehrte junge Frau. Ihr abgemagerter Körper zeichnete sich kaum unter der Umhüllung der Folie ab. Ihr Kopf war kahl geschoren.
    Kommissar Bloch trat näher.
    Der Rettungsassistent hob kurz die Atemmaske vom Gesicht der Gestalt.
    Ihre Augen waren geschlossen.
    Ein trotziger Zug lag um ihren Mund.
    Diesen Ausdruck kannte Erich Bloch nur zu gut.
    In Blochs Ohren begann es zu rauschen und zu tönen.
    Es war wie Wasser, das sich einen Weg sucht.
    »Rauchvergiftung«, sagte der kleinere Sanitäter und setzte die Maskenbeatmung fort. »Der Guru, der auch mit in der Hütte war, hat es alleine rausgeschafft. Ihm ist nichts passiert. Aber die hier ...« Er wies mit dem Kinn auf Evas Gesicht. »... die war zu schwach, um alleine rauszukommen. Aber sie hat keine

Weitere Kostenlose Bücher