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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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nebelfeuchten Fenchelfeldes.
    Reichenau – die reiche Au. Seit dem Beginn der menschlichen Besiedelung wurden im milden Klima dieser Insel Gemüse und Heilkräuter angebaut. Jetzt wurde die letzte Ernte eingefahren. Bald würde es November sein und dann kam die Totenruhe der Natur.
    Die Glashäuser waren leer geräumt, die wachstumsfördernden Plastikfolien zerrissen. Nur noch fette Kohlhäupter standen dort, die auf das krumme Messer warteten. Winterkohl. Schädelstätte.
    Leere Felder, auf denen die Krähen sitzen und frieren. Winterfelder.
    Da faulte ein Haufen schwarz verfärbter Tomaten.
    In einer Schubkarre lagen bunt durcheinander warm leuchtende Zierkürbisse. Jeder Kürbis hatte seinen Preis. Bloch studierte sorgsam die handgeschriebenen Etiketten.
    Als ob es darauf jetzt noch ankäme. 30 Cent, las er, 50 Cent. Einige wenige kosteten 1,50 Euro. Er fand die Preisunterschiede erstaunlich, da die Kürbisse sich äußerlich kaum voneinander unterschieden. Und sie wuchsen doch alle mit großer Mühelosigkeit. Warum also diese Unterschiede?
    Er hätte auch kein Kleingeld dabei gehabt.
    Ein paar Brombeeren verschimmelten an widerspenstigen Ranken.
    Die Pappeln am Ufer stanken fade.
    Bald würde man damit beginnen, das alte Laub zu verbrennen.
    In Naturschutzgebieten war offenes Feuer verboten. Wenn der Naturschützer nicht das Feuer gemeldet hätte, wäre Eva jetzt tot.
    Bloch kehrte um.
    Cenk wartete am Auto auf ihn.
    »Die junge Frau – war das nicht Eva?«
    Auf der Rückfahrt sprachen sie kein Wort.

26. Kapitel
    Mir ist kalt.
    Die Zeit hat nicht aufgehört.
    Sie haben mein Gesicht zugedeckt. Als sie das taten, da dachte ich, ich bin gestorben.
    Wenn man gestorben ist, dann sieht man sich von oben.
    Ich habe nichts gesehen.
    Die Zeit läuft weiter.
    Also bin ich nicht tot.
    Meine Hand hängt runter und streift das Gras. Es ist nass und kalt. Die Grashalme sind wie Messer. Jemand hebt meine Hand hoch und legt sie neben mich.
    Mein Vater ist nicht hier.
    Es ist dunkel. Schwierig, die Augen aufzubekommen.
    Mir ist kalt.
    Wenn mein Vater mich sehen könnte, würde es ihm wehtun.
    Ich friere und habe überall Schmerzen.
    Also gibt es mich noch.
    Die Zeit ist nicht stehen geblieben.
    Ich war immer ein böses Kind, hat meine Mutter gesagt.
    Wo ist meine Mutter.
    Man muss mich einsperren, um mich vor mir selbst zu schützen, hat sie gesagt.
    Sie tragen mich. Auch mein Vater hat mich manchmal getragen, als ich noch klein war. Ich erinnere mich nur undeutlich. Um mich herum schwankt es. Die Zeit schwankt hin und her.
    Die Zeit schwankt vor und zurück.
    Der Oberkörper des Meisters. Vor und zurück. Ich erinnere mich.
    Ich atme und will es nicht.
    Vielleicht werden sie mich wieder einsperren. Wo bin ich? Ich bin nicht bei mir.
    Mutter, ich will zu Mutter.
    Ich will nicht bleiben in diesem Tunnel.
    Hier ist es so kalt und es stinkt nach Desinfektionsmitteln.
    Die Pressekonferenz war auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Trotzdem lungerten einige unermüdliche Journalisten vor dem Eingang des Polizeipräsidiums herum. Fast alle rauchten. Wenn eines der Mobiltelefone fiepte, warfen sie ihre Kippen hastig auf den Boden und registrierten auch während des Gespräches aufmerksam jeden Neuankömmling. Die Nachricht vom neu hinzugekommenen Fall mit der brennenden Indianerhütte im Naturschutzgebiet hatte sich bereits herumgesprochen und es waren genügend Gerüchte im Umlauf, um die professionelle Neugier der schreibenden Zunft zu wecken.
    »Sollten wir nicht vielleicht lieber durch die Tiefgarage gehen?« Cenks Blick streifte Bloch seitlich.
    »Nein, lass mal, Cenk. Das wird schon gehen. Wir wissen ja selber noch nicht viel mehr als die da draußen. Was hätten wir denen schon zu sagen?«
    DAS wissen sie nicht, dachte Bloch. Das nicht.
    »Jetzt nicht, meine Herren«, wehrte Cenk die hastig herandrängenden Journalisten ab. Noch mehr Kippen flogen in den feinen Kies, mit dem der Vorplatz bedeckt war. Rauch stand vor den Mündern. Ob es Zigarettenrauch war oder er durch die Kälte kam, konnte Bloch nicht erkennen. Jemand hielt Cenk ein silberglänzendes Diktiergerät direkt vor das Gesicht. Er schob es mit einer harschen Handbewegung weg.
    »Wir wissen auch nicht viel mehr als Sie. Glauben Sie mir doch – Sie werden rechtzeitig und umfassend informiert werden.«
    Das mit Eva und mit mir. DAS wissen sie nicht, dachte Bloch.
    »Um 16 Uhr ist aber Redaktionsschluss«, brüllte ein stark übergewichtiger Kerl, der sich mit einer

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