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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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wohlproportioniert und feingliedrig waren. Ihre Schönheit wurde durch die abgebrochenen und verschmutzten Fingernägel jedoch aufgehoben. Es sah aus, als ob Topsannah mit bloßen Händen im Dreck gewühlt hätte. Auffällig waren auch die stark zerfurchten Handteller, in denen sie nun tatsächlich zu lesen schien wie in einem Buch.
    »Hier, schauen Sie«, sagte sie, ohne aufzublicken. »Hier steht alles geschrieben.«
    Zögernd trat Bloch an ihre Seite. Topsannah öffnete behutsam ihre linke Hand wie eine Blüte, die sich allmählich entfaltet. Bloch drückte hastig die Taste des Aufnahmegerätes. Er wartete schweigend.
    »Hier, die Kopflinie ist bei mir nur schwach ausgeprägt.« In Topsannahs Stimme schwang etwas wie ein Lächeln mit. »Ehrlich gesagt, ich war auch nie besonders gut in der Schule. Aber damals hat sich niemand die Mühe gemacht, in meiner Hand zu lesen. – Was solls.«
    Bloch wartete weiter und schwieg.
    »Jetzt schauen Sie mal hier, das sieht doch ganz anders aus, oder?«
    Scheu blickte Topsannah schräg nach oben, wandte ihre Augen jedoch sofort wieder ab.
    »Ja«, bestätigte Bloch. »Das sieht in der Tat vollkommen anders aus.« Er konnte nichts erkennen. Lediglich eine schwielige, verarbeitete Handfläche, in der sich ein Gewirr von rußgeschwärzten Linien überkreuzte und an den Rändern fransig auslief. Es sah aus wie ein Stadtplan. Oder wie ein Schnittmuster, dachte Bloch. Es sieht ein wenig aus wie Ilse Blochs Schnittmuster. Damals hatte sie ihm die ganze Garderobe selber genäht. Ist billiger so, hatte sie immer gesagt, auch wenn er sich noch so in dem umgeänderten und mehrfach gewendeten Zeug schämte, das ihn zum Gespött der Klassenkameraden machte.
    Von seinem ersten selbst verdienten Geld hatte er sich eine enge Jeans geleistet. Heimlich. Nicht auszudenken, was seine Mutter zu solch unsolidem, neumodischem Zeug gesagt hätte.
    »Die Herzlinie, sehen Sie sich mal die Herzlinie an. Sie ist bei mir überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Das sagt jeder.«
    Jeder?, dachte Bloch, mit wem spricht die denn überhaupt noch außer mit sich selbst?
    Topsannahs Zeigefinger fuhr durch einen dunkel verfärbten Graben in der Mitte ihres Handtellers.
    Bloch hätte zu gern seine eigene Herzlinie angeschaut.
    Der junge Polizist öffnete leise die Tür. Kaffeeduft wehte herein.
    »Jetzt nicht«, zischte Bloch und die Tür schloss sich hastig.
    »Was eine solche Herzlinie bedeutet, fragen Sie?«
    Bloch hatte nichts gefragt. Bloch wartete.
    »Ich nehme mir wahrscheinlich viele Dinge sehr zu Herzen – das sagte jedenfalls der Meister. Ich empfinde sehr tief. Ich habe ein großes Herz.«
    Wen meinte sie mit dem Meister? Doch nicht etwa ihren eigenen Mann?
    »Liebe?«, warf Bloch versuchsweise ein. War vielleicht Liebe das richtige Stichwort?
    »Liebe.« Topsannah blickt erst gar nicht hoch. »Ja, vielleicht. Vielleicht auch das.« Sie machte eine lange Pause. »Vielleicht aber auch das Gegenteil.«
    Cenk betrat leise das Vernehmungszimmer. Er schob Bloch einen Zettel zu, auf dem stand: ›Eva wird leben‹.
    Was heißt das, dachte Bloch und sagte: »Danke Cenk.«
    Was ist das: Leben?
    Cenk zog sich mit vorsichtigen Bewegungen einen Stuhl an den Tisch und setzte sich, ohne dabei überflüssige Geräusche zu machen. Mit seiner offensichtlichen Rücksichtnahme störte er Bloch mehr, als er vor sich selbst zugeben wollte.
    »Da ist noch eine dritte Linie«, sagte Topsannah. »Das ist die Schicksalslinie. Hier.« Sie zog sie vorsichtig nach. Ihr Finger wanderte bis zum Handgelenk, auf dem sich weitere dünne Linien überkreuzten.
    Waren es Narben oder Hautfalten? Bloch konnte es nicht genau erkennen.
    »Die Schicksalslinie. Manche Menschen sagen auch Lebenslinie dazu«, meinte Topsannah. »Aber ihre Länge sagt nichts darüber aus, wie lange jemand leben wird. Das ist purer Aberglaube. Diese Linie zählt keine Jahre.«
    »Nein?«
    »Nein, sie berichtet über das Schicksal.« Nun wurde Topsannahs Stimme lebhafter.
    »Darf ich?« Völlig überraschend griff sie nach Blochs schlaff herabhängender Hand. Er überließ sie ihr widerstandslos.
    »Ein eher schwacher Charakter«, erklärte Topsannah in fast schon dozierendem Tonfall. Bloch schoss das Blut ins Gesicht. Er wagte nicht den kleinsten Seitenblick in Cenks Richtung. Sicher fand Cenk dies alles unglaublich komisch und war vollauf damit beschäftigt, nicht laut herauszulachen.
    »Mehrere tiefe Einkerbungen«, erklärte Topsannah weiter und beugte sich

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