Die Vogelkoenigin
bis hauchdünn verästelt; die meisten schossen durch die Wolken und stießen Funken sprühend zusammen, aber die besonders großen suchten sich ihren Weg nach außen, Richtung Boden oder in der Luft in alle Richtungen.
Aruns gute Laune wurde nun um eine Winzigkeit erschüttert. »Bei den Warzen der Meerjungfrau!«, rief er. »Wir müssen halsen!«
»Geht nicht«, scholl es vom Rudergänger zurück. »Ich kann bei dem Widerstand unmöglich schnell genug manövrieren, dass wir vorher abdrehen können!«
»Dann halte den Kurs, komme, was da wolle! Mitten hindurch, array! «
Kapitän und Steuermann gerieten jetzt gleichermaßen in Hektik, liefen in entgegengesetzten Richtungen übers Deck und schrien dabei ihre Anweisungen. Die Mannschaft war voll auf dem Posten, alle Handgriffe saßen. Die großen Armbrüste wurden wieder hinuntergeklappt, Segel eingeholt, alles vertäut, was umhergeschleudert werden konnte, Halteseile für die Passagiere ausgeteilt mit der Anweisung, wo sie sich an den Deckschlaufen einhaken und wie sie sich sichern mussten. Arun befahl die Passagiere gar nicht erst unter Deck; er wusste, dass es sinnlos wäre.
Die Gewitterfront rückte bedrohlich näher, die Vorhut der fliegenden Muränen wurde bereits von den zuckenden Blitzen angeleuchtet. Auch sie änderten nicht den Kurs. Wohin auch - es gab außer der Umkehr nichts, wo man Schutz finden konnte, nur offenes Land.
»Komm endlich da runter!«, rief Naburo zum Ausguck hoch, während er bei Laura, Milt und Finn den ordentlichen Sitz der Halteleinen prüfte.
»Ich hab Angst.«
»Willst du lieber gegrillt werden? Der Blitz wird mit Sicherheit in den Großmast einschlagen.«
»Ich dachte, wir fliegen in einer Schutzblase?«
»Die hält nur die kleinen Blitze ab, du Badewannenmatrose! Muss ich Landratte dir noch etwas über die Schifffahrt beibringen? Sofort runter da, oder ich schicke Yevgenji, dich zu holen!«
Der Seemann kam heruntergekrabbelt und rannte davon, als er seinen Kapitän näher kommen sah. Arun war inzwischen wieder blendender Laune und zweifelte nicht daran, dass sie sicher durch den Sturm manövrieren würden. Die Königin der Vögel würde nun ihrem Namen alle Ehre machen!
»Ein wenig Fingerkreuzen kann allerdings nicht schaden«, bemerkte er. »Nun, alle bereit? Es geht gleich los.«
Die ersten fliegenden Muränen tauchten in die Wolkenballungen ein und wurden von einem knisternden Feuerwerk an Blitzen empfangen. Laura hörte einige hohe, spitze Schreie und sah entsetzt, wie brennende Körper sich aus der Masse lösten und abstürzten. Die anderen achteten nicht darauf, sondern zogen weiter, und die Cyria Rani folgte ihnen.
Es wurde zusehends heller, je näher sie dem Unwetter kamen, obwohl die Wolken immer finsterer und unheilvoller wirkten. Sie schienen sogar Gesichter zu haben, abweisende, böse, dämonische, die ihre Münder öffneten und ihnen einen scharfen Wind entgegenbliesen.
Die Cyria Rani wankte und schaukelte, als sie von den aus allen Richtungen herbeibrausenden Stürmen erfasst wurde. Über ihnen prasselten die Blitze, schlugen in den magischen Schutzwall ein und flossen knisternd darüber hinweg. Die Wolken stießen donnernd zusammen, um eine stärkere Front zu bilden; sie wollten niemanden hindurchlassen - oder alles, was sich in sie hineinwagte, verschlingen.
Arun schloss Wetten ab, wann der erste Blitz in den Großmast einschlagen und welchen Schaden er anrichten würde. Seine Fahne hatte er vorsichtshalber eingeholt.
»Die Metallkappe wird halten«, erklärte Spyridon. Er hielt am längsten dagegen.
Yevgenji hingegen war der Ansicht, dass mit der gespannten Ableitung alles nur schiefgehen konnte und sie wahrscheinlich bald alle an Odins Tafel sich selbst verspeisen würden, gut durchgebraten und gewürzt, da vorher gut in Alkohol eingeweicht.
Finn erzählte, wie er einmal ein schweres Gewitter in Bangkok erlebt hatte, dem einige Häuser zum Opfer fielen, und dass eines seiner Fotos darüber im International Geographie als »Bild des Monats« abgebildet worden war. »Menschen lieben nun mal gebannte Katastrophen und zahlen mehr dafür als für glückliche Ereignisse.«
Laura war aufgeregt und voller Angst, aber sie wollte das Geschehen nicht verpassen. Sie vertraute darauf, dass Arun wusste, was er tat. So mittendrin in einem Gewitter zu stehen war schlichtweg atemberaubend.
Die fliegenden Muränen allerdings taten ihr leid, die von Blitzen getroffen wurden und abstürzten. Doch es blieben immer
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