Die Voliere (German Edition)
zugestoßen war.
Dabei sparten sie Details über ihre Peiniger aus, darauf bestehend, dass Nora und Bruno keinesfalls die Polizeibeamten vor dem Haus hinzuzogen. Am Ende des Berichts war das Ticken der alten Pendeluhr an der Wand für lange Minuten das einzige Geräusch im Raum. Ihre Zeiger näherten sich Viertel vor neun.
»Wollen Sie denn keine Anzeige erstatten?«, erkundigte sich Nora.
Tibursky lachte verbissen. »Dann könne mir uns doch gleisch beerdische lasse.«
»Sie müssen sich das nicht gefallen lassen. Sie haben Rechte, wie fast alle Bürger dieses Landes.«
Aber Tibursky und Lefeber blieben bei ihrer Meinung. Sie hätten schon viel zu viel gesagt, meinte Lefeber.
»Wie haben sie das Ortungssystem ausgetrickst?«, wollte Nora wissen.
Lefeber und Rosen zeigten auf Tibursky.
Der grinste schief. »Des GPS funktioniert hier im Wald mit dene hohe Bäum ned rischdisch. Isch hab ihre Kollesche belauscht, die wo über die viele Fehlalarme geschimpft habbe.«
Nora schüttelte fassungslos den Kopf. Sie würde ein dringendes Wort mit den Herren wechseln müssen.
»Und wie kann ich Ihnen nun helfen?«, fragte sie.
Rosen malte rätselhafte Zeichen auf die Tischplatte. »Wir wollen hier nicht weg. Aber irgendwie kriegen wir es nicht hin, mit den Leuten auszukommen.«
»Geschweige denn miteinander«, sagte Lefeber.
»Vielleicht können Sie uns da …«, Rosen fehlten die passenden Worte.
»… beraten«, ergänzte Lefeber. »Sie werden unsere Resozialisierungsberaterin.«
»Na toll«, lachte Nora. »Und was wollen Sie, Tibursky?«
»Isch bin schon froh, wenn man net mehr uff misch schießt.«
Ein Lachen ging durch die Runde und bewirkte, dass die Anspannung der letzten vierundzwanzig Stunden ein wenig nachließ.
»Ich stelle eine Bedingung. Und bei Nichteinhaltung breche ich meine Unterstützung ohne Diskussion ab: Ab sofort geht keiner von Ihnen mehr ins Dorf. Das gilt besonders für Sie, Tibursky, und für Sie, Lefeber. Sie setzen keinen Fuß mehr nach Scheelbach, alle drei, unter gar keinen Umständen. Für die Einkäufe organisieren wir einen Lieferdienst. Sie bleiben im Haus, bis sich die Lage im Dorf beruhigt hat. Irgendwann werden die Menschen vielleicht vergessen haben, dass es Sie gibt. Dann können wir uns langsam wieder vortasten.«
»Das löst, falls überhaupt, nur unser ›Außenproblem‹«, wandte Lefeber ein. »Aber wie regeln wir den Umgang miteinander?«
»Erstens: Ich erstelle einen Plan für die Aufgabenverteilung im Haushalt. Bei Nichterledigung droht eine Geldstrafe. Ich werde mit Neumann reden, damit Geld vom Hartz-IV-Satz einbehalten und in eine Gemeinschaftskasse eingezahlt wird. Damit können wir regelmäßig gemeinsame Freizeitaktivitäten finanzieren.«
»Ich melde mich freiwillig fürs Kochen«, bot Rosen an.
Tibursky legte die Stirn in Falten.
»Zweitens: Ich habe in meiner Studienzeit an einer Supervision teilgenommen. Das ist eine Form der Beratung für Mitarbeiter in sozialen Berufen. Es geht unter anderem darum, die Zusammenarbeit im Team zu verbessern. Eine ganz ähnliche Sitzung werden wir künftig zwei Mal wöchentlich abhalten. Auf diese Art lernen Sie sich besser kennen und Sie lernen, mit Kritik umzugehen.«
»Oder uns die Köpp einzuschlaache«, erwiderte Tibursky zur Erheiterung der Anwesenden.
»Drittens: Ich glaube, Sie brauchen eine gemeinsame Aufgabe. Etwas, das den Teamgeist fördert. Hat jemand eine gute Idee?«
Man grübelte.
Schließlich war es Bruno Albrecht, der den Vorschlag einbrachte: »Wir könnten ja die Voliere reparieren.«
Rosen brach ohne Vorwarnung in Tränen aus. Nora und Bruno sahen Lefeber fragend an.
»Willi ist abgehauen. Hauptsächlich durch meine Schuld«, erklärte er.
Bruno fuhr sich über den beinahe kahlen Schädel. Schließlich sagte er: »Eine Kundin von mir, eine alte Dame, die ins Pflegeheim muss, kann ihren Kanarienvogel nicht mitnehmen. Vielleicht willst du dich um ihn kümmern?«
»Willi ist Willi«, bockte Rosen und trompetete wie ein Elefant in ein kariertes Stofftaschentuch.
»Ja, natürlich. Willi kann man nicht ersetzen«, pflichtete Nora ihm bei. »Aber wenn Willi – nur mal angenommen – wieder auftaucht, hat er gleich eine neue Freundin. Das würde ihm doch gefallen, oder?«
Dieses Argument schien Rosen zu überzeugen. Mit einem schiefen Lächeln steckte er das Taschentuch wieder ein. »Wann fangen wir an?«
»Morgen ist Sonntag. Also übermorgen«, sagte Nora und fügte in Gedanken an: Wenn ich
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