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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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wollten. An diesem Samstagvormittag hatten sie das Gehege für sich.
    Das Tier schnupperte misstrauisch und als Noras Handy läutete, sprang es erschrocken davon. Enttäuscht warf Agniezka das Futter ins Gebüsch. Nora strich ihr tröstend über den Kopf und drehte sich weg, um den Anruf entgegenzunehmen. Es war Bruno.
    »Tut mir leid Nora, dass ich im Moment immer nur anrufe, wenn ich etwas von dir will.«
    »Wer vorhat, mich wieder in die Oper einzuladen, darf jederzeit anrufen.«
    »Um Schöngeistiges handelt es sich leider nicht. Ich habe einen Anruf von Heinz Rosen erhalten. Irgendetwas Schlimmes ist gestern vorgefallen. Er hat sich geweigert, mir zu sagen, um was es geht, und er will erst recht nicht, dass die Polizei eingeschaltet wird. Er will nur mit dir sprechen.«
    »Ich bin auch Polizistin. Außerdem haben deine Freunde einen Bewährungshelfer. Der ist für genau diese Art von Problemen zuständig.«
    »Rosen sagt, du bist die Einzige, der er vertraut.«
    Nora entfernte sich ein paar Schritte von Agniezka, die einen zweiten Anlauf startete, ein Reh anzulocken. »Bruno, so geht das nicht. Dass ich zum Einzug mitgekommen bin und mich mitten zur besten Sendezeit auf der Dorfversammlung zum Affen gemacht habe, waren einmalige Aktionen. Ich habe mich bereits weit genug aus dem Fenster gelehnt. Von Schreyer habe ich einen Riesenanschiss kassiert, weil ich ohne vorherige Absprache mit ihm Zusicherungen im Namen des ZPD gemacht habe. Außerdem habe ich einen Job, der mich völlig auslastet.«
    »Nora, bitte, dieses eine Mal noch. Ich verspreche dir, dann ist Schluss. Bitte!«
    Nora seufzte und schloss die Augen.
    Wenn ihr Vorgesetzter herausbekam, dass sie sich seinen Anordnungen trotz der angedrohten Konsequenzen widersetzte, hatte er vermutlich keine andere Wahl, als sie hinauszuwerfen. Andererseits ging es den ZPD nichts an, wie sie ihre Freizeit verbrachte.
    Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie Agniezka am Zaun stehen, die weichen Lippen des Rehs nahmen vorsichtig das Futter aus ihrer Hand. Mit einem Leuchten in den Augen drehte Agniezka sich zu Nora um.
    »Ich will erst mit Neumann sprechen, bevor ich mich einmische. Seine Klienten, seine Entscheidung. Aber erst am Nachmittag, im Moment bin ich beschäftigt. Ich ruf dich zurück, sobald ich etwas weiß.«
    Bruno bedankte sich und legte auf.
    Nora kniete sich neben das Mädchen und schüttete sich selbst ein wenig Futter in die hohle Hand. Aber das Reh war ihr nicht gewogen. Es sah sie lange skeptisch an, dann machte es kehrt, brach durch das Unterholz und schloss sich seiner Gruppe an.
    *
    Neumann hatte versprochen, Nora zurückzurufen, aber sie wartete vergebens. Als sie ihn am späten Nachmittag endlich an die Strippe bekommen hatte, sang er ein Klagelied von Überstunden, Unterbezahlung, Burn-out. Ihr Angebot, sich ›einzumischen‹, hatte er dankbar angenommen. Und dabei herzhaft gegähnt.
    Nun saßen sie zu fünft um den Esstisch: Nora Winter, Bruno Albrecht, Adam Lefeber, Heinz Rosen und Wolfgang Tibursky. Tibursky war ungewöhnlich still, an seiner linken Wange und der linken Hand klebten Pflaster. Auch Adam Lefeber, der eine Baseballkappe tief in die Stirn gezogen hatte, brachte die Zähne nicht auseinander. Offensichtlich hatte Rosen Nora hergebeten, ohne sich mit den anderen abzusprechen.
    »Jetzt erzähl doch, was passiert ist, Adam!«, drängte Rosen.
    »Nichts ist passiert«, wehrte Lefeber ab. »Nichts, was wir hier ausbreiten müssen«, fügte er leise hinzu. Seine Aussprache war undeutlich und es sah aus, als sei seine Oberlippe geschwollen.
    »Haben Sie mich dafür herkommen lassen?«, fragte Nora genervt.
    Außer Rosen, der auf seinem Stuhl vor und zurück schaukelte, wollte sich offenbar keiner der Männer in die Karten schauen lassen.
    Nora stand auf. »Komm Bruno, an einem Samstagabend habe ich wirklich etwas Besseres zu tun.«
    »Warum sagst du nicht, dass sie dich zusammengeschlagen haben?«, wollte Rosen wissen.
    »Halt doch endlich den Mund, Heinz! Merkst du nicht, dass du alles nur noch schlimmer machst?«
    Rosen packte Lefeber am Nacken und riss ihm die Kappe vom Kopf. Die Stirn war dick bandagiert.
    Unter Protest zog er Lefebers Poloshirt hoch. Auf Unterleib und Brust prangten ein gutes Dutzend Blutergüsse in leuchtenden Farben.
    »O mein Gott«, entfuhr es Nora.
    Bruno stieß einen Pfiff aus.
    Endlich nahmen alle wieder Platz und weil Rosen keine Ruhe gab, berichteten Lefeber und Tibursky widerwillig, was ihnen

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