Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
Vom Netzwerk:
Hände und Knie, bellte noch ein letztes Mal wie ein Hund und zog sich an Timms Schulter hoch, bis er schwankend an einem Stützpfeiler der Schaukel lehnte.
    Timm hakte ihn unter und führte ihn zur Bank. Sie setzten sich. Der Mann schwieg eine ganze Weile.
    »Sie sind der Mann, der neulich bei uns in der Bäckerei war, oder?«
    »Bin ich. Danke auch«, nuschelte er.
    »Keine Ursache. Sind Sie … von der Schaukel gefallen?«
    Der Mann sah ihn erstaunt an. Dann lachte er heiser. »Ja, ich bin wohl von der Schaukel gefallen. Ich glaube, eine Rippe ist gebrochen. Hast du ein Taschentuch?«
    Timm kramte ein weißes zerknülltes Etwas hervor. »Nur ein benutztes.«
    Der Mann glättete es und wischte sich damit über Mund und Nase. Über seiner rechten Augenbraue klaffte eine Wunde, aus der Blut lief. Erschrocken hielt er das rot gefärbte Taschentuch vor seine Augen.
    »Sie müssen aber hoch geschaukelt sein.«
    »Ja, das war eine ziemlich wilde … Schaukelei«, bestätigte der Mann.
    »Soll ich Sie reinbringen? Da sind Sanitäter.«
    »Nein danke, ich gehe jetzt wohl besser nach Hause.«
    »Soll ich Sie begleiten?«
    »Keine gute Idee, glaube ich. Aber nochmals Danke für deine Hilfe.«
    Der Mann erhob sich. Auf wackligen Knien schaffte er es gerade bis zum Holztor, bevor seine Beine nachgaben und er sich mit letzter Kraft an der Tür festhalten konnte.
    »Ich glaube nicht, dass Sie das alleine schaffen«, sagte Timm, der aufgesprungen war, um ihn zu stützen.
    »Da magst du recht haben«, sagte der Mann.
    »Kommen Sie, ich bringe Sie. Wo müssen Sie hin?«
    »Schreckenmühle«, sagte der Mann nach einiger Überlegung.
    Timm bot ihm seine Schulter, um sich abzustützen. Dann machten sie sich auf den Weg. Die Straßen waren menschenleer und dunkel, genau wie die Fenster der Häuser. Die Einwohner von Scheelbach feierten ein ausgelassenes Fest.
    Irgendwo in weiter Ferne ertönte das Echo eines Peitschenknalls oder ein Schusses. Dann folgte ein zweiter.
    *
    Heinz Rosen hatte den ganzen Abend reglos im Wohnzimmer gesessen und auf Lefebers und Tiburskys Rückkehr gewartet. Er war kreidebleich geworden, als Lefeber plötzlich im stockfinsteren Flur vor ihm stand: hinkend, verschmutzt, mit einer Platzwunde über dem Auge und einem ausgeschlagenen Eckzahn.
    Er habe eine Auseinandersetzung mit Festgästen gehabt, Tibursky sei entführt worden, erklärte er. Falls er bis zum Morgen nicht auftauche, müsse man die Polizisten informieren. Rosen fuhr sich nervös durch die Haare. Sie müssten etwas unternehmen, sie könnten doch nicht einfach warten, bis man Tibursky im Leichensack …
    Er solle seine verdammte Fresse halten und tun, was man ihm sage, fuhr Lefeber ihn an. Rosen ließ sich eingeschüchtert auf den Stuhl zurücksinken.
    Lefeber war froh, dass Rosen nicht wissen wollte, wie er es in seinem Zustand überhaupt bis hierher geschafft hatte. Den Jungen mit dem Namen Timm hatte er weit vor dem Eingang zum Tunnel zurückgeschickt, die letzten paar Hundert Meter musste er ohne Hilfe zurücklegen.
    Beiden – Rosen und Lefeber – war nicht nach Schlaf zumute. Lefeber schickte den Riesen auf die Suche nach Schmerzmitteln und setzte Teewasser auf. Ab und zu blickte er aus dem Fenster, aber Tibursky ließ sich nicht blicken. Stundenlang saßen sie am Esstisch, starrten in ihre Teetassen und schwiegen sich an. Gegen halb drei Uhr morgens kippte Rosens Stirn auf die Tischplatte, ein lautes Schnarchen erfüllte den Raum.
    Eine Stunde später hörte Lefeber Geräusche an der Eingangstür. Wie Bruno Albrecht zuvor, schnappte er sich den Schürhaken und schlich in den Flur. Die Tür ging mit quälender Langsamkeit auf. Wolfgang Tibursky kroch mehr in den Flur, als dass er ging. Keuchend ließ er sich auf den Hosenboden fallen und lehnte sich an eine Wand, bevor er aufschluchzte. Gesicht und Hände waren mit einer Dreckkruste und blutenden Kratzern überzogen. Der dunkle Fleck auf der Hose und der Gestank, der damit einherging, deuteten darauf hin, dass er sich eingenässt hatte.
    Lefeber versuchte, etwas aus ihm herauszubekommen, aber Tibursky war kaum ansprechbar. Fortwährend brabbelte er etwas von »fünfundvierzig Sekunden« und brach wieder in Tränen aus. Dann sackte er auf einmal in sich zusammen und schlief an Ort und Stelle ein. Lefeber rüttelte ihn wach und hievte ihn – trotz seiner schmerzenden Rippen – am Ellbogen hoch, um ihn nach oben zu geleiten, wo er ihn aufs Bett zu legen gedachte. Als er ihn die Treppe

Weitere Kostenlose Bücher