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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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irgendeiner Form bewaffnet, kletterten über die umgestürzte Eiche und sammelten sich.
    »Ich rede mit ihnen«, sagte sie und ließ Rosen, Tibursky und Lefeber, der gerade die Treppe herunterkam, zurück. Sie riss die Tür auf und rannte in den Hof hinaus. Die Männer waren keine zweihundert Meter mehr entfernt.
    Gerade als Nora ihnen zurufen wollte, flog etwas in hohem Bogen auf das Haus zu und zerplatzte auf dem Dach der Mühle. Benzingestank breitete sich aus, aber zum Glück entzündete sich der Brandsatz nicht – die Lunte war erloschen. Nora machte auf dem Absatz kehrt und floh ins Haus.
    Sie schlug die Tür hinter sich zu. »Helfen Sie mir, die Tür zu verbarrikadieren!«, schrie sie.
    Rosen wuchtete den Geschirrschrank aus dem Esszimmer hoch, als wäre er aus Pappmaschee, und trug ihn vor sich her durch den Flur. Das Geräusch von zersplitterndem Glas und Porzellan hallte in Noras Ohren nach. Um die Fenster im Wohn- und Esszimmer sowie in der Küche zu sichern, fehlte ihnen die Zeit.
    »Können wir uns irgendwo verstecken?«, sagte sie zu Tibursky, aber bevor der antworten konnte, kam Schöne, der Polizist mit der verletzten Hand, aus dem Wohnzimmer. Er hielt die Hände in die Höhe gestreckt. Lefeber ging hinter ihm, den Lauf einer Pistole auf seinen Hinterkopf gerichtet. Schönes Koppel baumelte lose in seiner anderen Hand.
    »Geben Sie mir Ihre Autoschlüssel«, forderte er Nora auf. Sein Blick war kalt und unergründlich wie ein Bergsee im Winter. Jetzt war klar, wer Martinez’ verschwundene Waffe an sich genommen hatte. Vermutlich hatte Rosen sie entwendet und an seinen Freund Lefeber weitergereicht. Wie Lefeber es geschafft hatte, Schöne, dessen Dienstwaffe ordnungsgemäß in seinem Holster steckte, zu überwältigen, würde vorerst sein Geheimnis bleiben.
    »Das macht es doch nur noch schlimmer, Herr Lefeber. Geben Sie mir die Waffe, bitte! Der Mob kann jeden Augenblick hier sein.«
    »Dann bin ich längst weg«, sagte Lefeber und riss die Tür zur Vorratskammer auf. »Sie beide gehen hier rein, sofort.«
    Schöne sah Nora Winter unschlüssig an. Keiner rührte sich vom Fleck.
    »Auf die Knie!«, brüllte Lefeber mit einem Mal Schöne an und zum ersten Mal, seit sie diesem gut gekleideten, kultivierten Mann in der JVA Schwalmstadt begegnet war, sah Nora Winter das Tier, das sich tief in seinem Innern verborgen hatte.
    Schöne sank auf die Knie. Er blickte Nora an, flehte um sein Leben.
    Lefeber hielt den Lauf an Schönes Kopf und begann zu zählen: »Zehn, neun, acht …«
    Tibursky stand daneben und tat, als ginge ihn das Ganze nichts an.
    Rosen machte einen Schritt auf Lefeber zu. »Hör auf damit Adam, die Frau Doktor …
    Nun richtete sich Lefebers Pistole plötzlich auf sein Gesicht, was ihn bewog, schlagartig stehen zu bleiben.
    »Sie ist überhaupt keine Frau Doktor, das weißt du so gut wie ich. Und jetzt halt endlich deine blöde Fresse, du Erbsenhirn, sonst erschieße ich dich als Nächsten.«
    Man sah Rosen deutlich an, dass Lefeber noch nie in seinem Leben so mit ihm gesprochen hatte. Gekränkt verschränkte er die Arme vor dem massigen Bauch und sah düster drein. Lefeber richtete die Waffe wieder auf Schönes Kopf. Tibursky, der an der Flurwand lehnte, steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte zu Boden.
    »Sieben, sechs, fünf …«
    Mit einem Wutschrei griff Nora in ihre Jeanstasche und gab Lefeber den Schlüssel. Sobald er aus dem Haus war, würde sie umgehend die Kollegen von der Polizei benachrichtigen und das Kennzeichen ihres Wagens durchgeben.
    Lefeber drängte sie beide in die kleine abschließbare Vorratskammer, Schöne voraus.
    Durch ein schmales verschmutztes Fenster fiel ein Lichtschimmer in den winzigen Raum. Rechts und links säumten Regalbretter von Hüfthöhe bis zur Decke die Wände. Sie waren spärlich mit Konserven, Einmachgläsern, Nudeln und Reis, Putzmitteln und Drogerieartikeln gefüllt. An der rechten Wand stand eine altertümliche, ausgeschaltete Kühltruhe.
    Lefeber schob die Tür zu, aber Nora blockierte sie mit ihrem Schuh. »Warum tun Sie das? Sie waren der Einzige, dem ich eine echte Chance eingeräumt hätte. Ich hatte wirklich gehofft, Sie schaffen es. Eigentlich hoffe ich das immer noch.«
    »Hören Sie die da draußen?«, antwortete Lefeber.
    Die Stimmen kamen näher – Lachen, aufgeregtes Geschrei, manchmal hörte man Fetzen eines Soldatenliedes.
    »Erinnern Sie sich, was ich damals in der JVA zu Ihnen gesagt habe? Wir sind wie Aussätzige.

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