Die Voliere (German Edition)
vornherein davon aus, dass sie den Rest ihres Lebens am Tropf der Sozialhilfe hängen?«
»Ich bin Realist, Frau Winter.«
»Als Realist sollten Sie auch berücksichtigen, dass Tibursky und Rosen sich spinnefeind sind. Wenn Sie die beiden im Winter wochenlang auf engstem Raum in ein düsteres Bauernhaus sperren, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich an die Gurgel gehen.«
»Auf persönliche Animositäten können wir keine Rücksicht nehmen.«
Nora ging auf, dass es dem Politiker vermutlich mehr als recht war, wenn das Problem sich von selbst löste.
»Dass sich wie in Schwanheim buchstäblich aus dem Nichts eine Protestbewegung formiert, steht im tiefsten Spessart wohl kaum zu befürchten. Haben die dort überhaupt Internet?«, erkundigte sich Broussier.
»Dass Sie sich da mal nicht gewaltig irren«, entgegnete Nora.
Das Geplänkel ging noch eine Weile hin und her, doch im Prinzip waren alle Argumente auf dem Tisch: Broussier und Cornelius plädierten aus Kostengründen und der Bequemlichkeit halber für die angebotene Lösung, Nora und Neumann waren die Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung wichtiger und Schreyer schwieg salomonisch.
»Wie schätzen Sie Herrn Albrecht ein, Frau Winter? Ist er vertrauenswürdig?«, ergriff Schreyer plötzlich das Wort und die Augen aller Anwesenden richteten sich auf Nora.
»Ich denke ja. Er kennt Lefeber und Rosen seit Jahren und hat sie bereits in der JVA unterstützt.« Sie machte sich eilends am Projektor zu schaffen, damit ihr niemand anmerkte, was sie sonst noch über ›Herrn Albrecht‹ wusste.
Broussier und Schreyer warfen sich einen verschwörerischen Blick zu, bevor es hieß: »Frau Winter und Herr Neumann, würde es Ihnen etwas ausmachen, kurz draußen vor der Tür zu warten?«
»Ich verstehe nicht?«, entgegnete Nora und sah auf.
Schreyer und Cornelius mieden ihren Blick. Broussier hielt ihm stand.
»Wir möchten uns im Führungskreis besprechen. Diese Angelegenheit betrifft Fragen der inneren Sicherheit.«
»Glauben Sie nicht, dass wir diese Entscheidung gemeinsam treffen sollten? Schließlich werden wir auch die Konsequenzen gemeinsam tragen.«
»Nein, das glaube ich nicht – weder das eine noch das andere«, entgegnete Broussier kühl.
Hilfe suchend sah sie Schreyer an, doch der nickte nur.
Eiskalte Wut stieg in ihr hoch.
»Ich werde ganz sicher nicht wie ein Schulmädchen vor der Tür warten, bis der Herr Direktor mich wieder hineinzitiert. Ich gehe jetzt in mein Büro, auf meinem Schreibtisch liegt mehr als genug Arbeit.«
Nora tippte mit dem Finger auf die Tischplatte. »Aber ich möchte, dass hier fürs Protokoll festgehalten wird, dass ich es für äußerst bedenklich halte, alle drei gemeinsam in dieser verlassenen Gegend unterzubringen. Lefeber und Rosen meinetwegen, auch wenn ich der Überzeugung bin, eine individuelle Betreuung wäre sinnvoller. Aber für Tibursky müssen Sie eine andere Lösung finden, sonst führt das früher oder später zu Konflikten. Wenn Sie – was ich befürchte – meine Empfehlung missachten, sollte die Gruppe wenigstens intensiv psychologisch und therapeutisch betreut werden.«
»Und dabei hatten Sie an sich selber gedacht?«, fragte Broussier scheinheilig.
»Mein Angebot steht. Aber wie ich die Lage einschätze, werden Sie auch das ausschlagen.« Nora raffte ihre Unterlagen zusammen und verschwand Funken sprühend durch die Tür.
Eine Viertelstunde später klopfte es vorsichtig; Neumann überbrachte, wie erwartet, die schlechte Nachricht. Doch entgegen ihrer Vermutung hatte Nora keine Lust, ihre Wut an ihm auszulassen – sie hatte bereits resigniert.
»Nächste Woche ziehen sie um.«
Nora seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich drehe hier drinnen noch durch.«
Sie stand auf und ging zum Fenster, durch das sie auf den Parkplatz hinunterblicken konnte. Der Chauffeur der dunklen Limousine riss die Tür des Fonds auf; bevor sich Broussier in die Lederpolster fallen ließ, sah er kurz zur Fensterfront des ZPD empor. Hatte er Nora entdeckt? Vermutlich nicht. Und vermutlich galt auch das zufriedene Lächeln, dass nun über sein Gesicht huschte, während er telefonierte, nicht ihr.
»Eine intensivpsychologische Betreuung wird nicht für nötig erachtet«, sagte Neumann. »Schade. Ich hatte mich schon darauf gefreut, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ihre Einstellung gefällt mir.« Er schenkte ihr einen aufmunternden Blick.
»Hoffentlich gibt das kein Fiasko«, seufzte Nora.
»Warten wir es ab.
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