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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn einige Hundert entlassene Straftäter betreut. Oft wachsen sie an den Herausforderungen. Es hängt viel davon ab, wie die Menschen gestrickt sind, denen sie im Spessart begegnen.«
    Genau das war Noras größte Befürchtung, die sie vorerst für sich behielt. Sobald Neumann sich verabschiedet hatte, rief sie Bruno an. Der war bereits über die Entwicklung im Bilde.
    Broussier hatte keine Minute vergeudet.

II
    Du sagst: »Ich werde in ein anderes Land fahren,
    An ein anderes Meer. Ich werde eine bessere Stadt finden
    Als diese, wo jede meiner Anstrengungen zum Scheitern verurteilt ist,
    wo mein Herz – wie eine Leiche – begraben liegt.«
    Aus Die Stadt von Konstantinos Kavafis

Montag, 11. November
    Acht.
    Es geht zu wie auf einem Volksfest, denkt Rosen, als sein Blick durch die Glastür nach draußen fällt. Vor etwas mehr als einer Woche haben sie ihn aus G. Richters Wohnung wieder hierher zurückgebracht. Einige Unerschütterliche haben Tag für Tag Wache gehalten, aber seit bekannt wurde, dass ihr Aufenthalt nur noch von kurzer Dauer ist, schien es ruhiger zu werden. Zumindest bis heute.
    Vor dem Seniorenheim hat sich inzwischen eine noch größere Menschenmenge eingefunden als bei ihrer Ankunft: Zwischen Vätern mit krakeelenden Sprösslingen auf den Schultern und jungen Frauen, die ihre Handys hoch über dem Kopf auf den Eingang richten, in der Hoffnung, ein Sensationsfoto zu erhaschen, blitzen die unvermeidlichen Fernsehkameras auf.
    Im Verkehrsfunk wurde bereits empfohlen, Schwanheim großräumig zu umfahren, der Sprecher hatte etwas von einem ›Flashmob‹ und einer ›facebook-Party‹ gesagt, Begriffe, die Rosen völlig fremd sind.
    Die Tür wird aufgestoßen – Lefeber, Tibursky, Rosen treten hinaus. Ein Windstoß fegt Tiburskys Käppi vom Kopf und wirbelt es durch die Luft, bis es in den Blumenrabatten neben dem Eingangstor landet. Ein Kind hebt die Mütze auf und streckt sie dem herbeieilenden Tibursky entgegen. Bevor er sie ihm abnehmen kann, reißt die Mutter ihr Kind zur Seite und die Kopfbedeckung landet in einer Pfütze, in der sich weiße Wolken vor einem blauen Hintergrund abzeichnen. Tibursky klopft das Wasser vom Käppi und zwinkert dem Kind zu.
    Bald sitzen die drei im Bus, das wenige Gepäck ist ein weiteres Mal verstaut, die Türen schließen sich, der Wagen setzt sich in Bewegung. Plötzlich ertönt ein lautes Geräusch, das Rosen zuerst nicht zuordnen kann. Bis er sieht, wie sich die Hände der Menschen rhythmisch bewegen. Sie klatschen Beifall. Ihre Gesichter wirken wie erlöst, die Augen leuchten.
    »Warum klatschen sie?«, will Rosen von Lefeber wissen.
    »Für sie ist das heute ein Festtag«, sagt Adam. »Das Krebsgeschwür in ihrer Mitte ist entfernt. Als würde sich das Böse ausschließlich in drei ehemaligen Sicherungsverwahrten manifestieren.«
    Was Adam sagt, klingt salbungsvoll, doch Rosen hat nur eine blasse Ahnung, was es bedeutet. Neumann, der vorne neben dem Fahrer sitzt und die Männer nach Scheelbach begleiten wird, schweigt.
    Der Applaus verebbt hinter dem Bus und den beiden Zivilfahrzeugen des MEK, die aus der Zufahrt rollen. Ob er eine rauchen dürfe, fragt Tibursky.
    Neumann verneint.
    Wenn er nicht rauchen dürfe, würde ihm beim Autofahren schlecht, jammert Tibursky.
    Wie er denn die Fahrt von Schwalmstadt nach Frankfurt überstanden habe, will Neumann wissen und reicht ihm eine Papiertüte nach hinten. Für alle Fälle.
    Da habe er so starke Kopfschmerzen gehabt, dass er nicht gemerkt habe, wie ihm schlecht geworden sei, erklärt Tibursky und fingert demonstrativ an dem Pflaster auf seiner Stirn herum. Ein Andenken vom Fernsehen, feixt er. Der Fahrer grinst.
    Rosen sieht aus dem Fenster und kneift sich in den Oberschenkel, um dem Drang zu widerstehen, Tibursky ins Gesicht zu schlagen.
    Sie fahren eine Weile am Schwanheimer Ufer entlang, mit dem Main und der Frankfurter Skyline zur Linken. Nicht nur das Wasser trennt Rosen, Tibursky und Lefeber von der Welt auf der anderen Seite. An einer Straßenbahnhaltestelle warten Männer im Anzug, Mütter mit Kinderwagen, Jeans und auf Hochglanz polierten hochhackigen Lederstiefeln, japanische Touristinnen mit Sonnenschirmen.
    Für Rosen fühlt es sich an, als schwebe er in einem Raumschiff über einen fremden Planeten. Wie in einer dieser Star-Wars -Geschichten, in einer Welt, deren Atmosphäre ihn zugrunde richtet, denkt er. Am besten wäre es, auf seinen Heimatplaneten

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