Die Voliere (German Edition)
nackt war.
»Du kommst jetzt augenblicklich her und schaffst mir diesen Drogi vom Hals.«
»Wieso Drogi?«
»Dein feiner Freund Rosen hat versucht, sich hier in meiner Wohnung den goldenen Schuss zu setzen. Genau das, was ein Bulle braucht. Gehört das zu deiner Mitleidstour? Mir heroinabhängige Obdachlose unterzujubeln, damit ich sie im Alleingang resozialisiere? Der Notarzt ist unterwegs, Nora. Und sobald er weg ist, packt Rosen seinen Koffer, falls er nicht sowieso auf der Intensivstation oder im Krematorium landet. Setz umgehend deinen hübschen Hintern in Bewegung.«
»Sag mal, in was für einem Ton redest du überhaupt mit …«
Aufgelegt.
Erst jetzt ging Nora auf, um was für ein Missverständnis es sich handelte. Bruno sah sie fragend an.
»Rosen ist zusammengebrochen, vielleicht wegen Unterzuckerung. Richter denkt, er sei drogenabhängig, und macht ein Riesentheater. Ich muss sofort los, um die Wogen zu glätten.«
»Ich fahre dich hin. Ist vielleicht ganz gut, wenn ich auch mal mit ihm rede.«
»Meinst du Rosen oder Richter?«
»Beide«, sagte Bruno grimmig und ging in Richtung Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Als er an der Arbeitsplatte vorüberkam, schob er beiläufig das herausstehende Blatt Papier wieder ins Fach zurück. Nora wurde siedendheiß.
*
Rosen sah bleich aus. Ein paar feuchte Haarsträhnen hingen ihm in die Stirn, aber es schien ihm wieder gut genug zu gehen, um auf dem Gästebett sitzend hin und her zu schaukeln. Der Notarzt ergriff seine Tasche und verschwand mit einem knappen Nicken aus dem Zimmer, aus der Wohnung, aus Rosens Leben. Für dieses Mal.
Gideon betrachtete Nora mit glasigem Blick, bevor er ihr mit einer Kopfbewegung bedeutete, ihm nach draußen zu folgen. Bruno, der neben Rosen auf der Bettkante saß und ihm die Hand tätschelte, erhob sich ebenfalls.
»Ich möchte einen Moment alleine mit Nora sprechen«, nuschelte Gideon mit grimmiger Miene; vermutlich hatte auch er auf Hartmanns Party zu viel getrunken. Bruno setzte sich wieder. Nora und Gideon gingen in die Küche und nahmen an dem kleinen Esstisch Platz. Gideon schenkte für beide ein Glas Cola ein.
Unwillkürlich verglich Nora Gideons Wohnung mit Brunos Luxusherberge: Gideons Küche war gemütlich, altmodisch, ein wenig chaotisch, wie man es von einem Junggesellen erwartete. Nur der große Schuhschrank im Flur, in dem sich ein knappes Dutzend handgenähte italienische Schuhe befand, für die Gitte dem Anschein nach tief in die Tasche gegriffen hatte, fiel ein wenig aus dem Rahmen. Auch die Wohnung wirkte, im Gegensatz zu Brunos, bewohnt, wenngleich beide Männer selten zu Hause waren.
»Du musst ihn woanders unterbringen, Nora«, sagte Gideon. »Hier kann er auf keinen Fall bleiben.«
»Er ist nicht drogenabhängig, sondern Diabetiker. Solange er regelmäßig isst und sein Insulin nimmt, ist er pflegeleicht.«
»Ich kann nicht Kindermädchen bei ihm spielen, so selten, wie ich zu Hause bin. Wenn er sich nicht alleine versorgen kann, sollte er in einem Heim untergebracht werden. Das wäre für jemanden wie ihn ohnehin das Beste.«
»Die Bewährungshilfe ist dran, einen Platz für ihn zu organisieren, aber das geht nicht so schnell. Ein paar Tage noch Gideon, bitte, höchstens eine Woche. Oder zwei.«
»Zwei Wochen? Kommt nicht infrage!« Gideon stürzte die Cola so hastig hinunter, dass sie an den Mundwinkeln herablief und auf sein Hemd tropfte. Hektisch schnappte er ein Handtuch und rieb an den Flecken, wodurch sie nur noch größer wurden. Er stieß einen Fluch aus, von dem Nora nicht zu sagen wusste, ob er dem Missgeschick im Besonderen oder der Situation im Allgemeinen geschuldet war: »Verdammte Scheiße! Was ist denn mit deinem Pferdedoktor, diesem Albrecht? Ich denke, der ist mit dem Kopfabreißer und dem Kinderschänder so dick befreundet? Seit die drei draußen sind, hat er sich ja nicht gerade ein Bein für sie ausgerissen. Hatte wahrscheinlich genug damit zu tun, dich ins Bett zu kriegen.«
»Das war allerdings ein hartes Stück Arbeit«, sagte Bruno, der wie aus dem Nichts in der Tür aufgetaucht war. »Sorry, aber ich habe meinen Namen gehört und dachte, ich steige direkt in eure Diskussion ein.«
Nora blieb keine Zeit mehr, auf diese typisch männliche Eigenmächtigkeit zu reagieren, denn im selben Moment sprang Gideon auf, wobei der Stuhl umkippte, und wankte mit hochrotem Kopf auf Albrecht zu.
»Mit dir gibt es nichts zu diskutieren, du Arschloch!«
Und ehe Nora sich versah,
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