Die Voliere (German Edition)
auf seine teure Uhr, während im Minutentakt sein Handy auf dem Tisch vibrierte und alle Anwesenden aus dem Konzept brachte.
Auch Nora wäre um ein Haar zu spät gekommen, denn als sie heute Morgen ins Auto steigen wollte, musste sie feststellen, dass Vandalen in der Nacht einen Reifen durchstochen und mit Edding Verbrecherhure auf die Motorhaube gekritzelt hatten. Glücklicherweise hatte Ceyda ihr ihren altersschwachen Fiesta geliehen, mit dem sie aufgelöst und mit klopfendem Herzen nach Wiesbaden gefahren war.
Schreyer bat Nora, die Teilnehmer der Sitzung von der aktuellen Entwicklung in Kenntnis zu setzen.
»Adam Lefeber und Wolfgang Tibursky wohnen in der Mainblickresidenz , einem ehemaligen Seniorenheim, Heinz Rosen ist bei Gideon Richter, einem Freund von mir, untergebracht. Die Situation ist für alle Beteiligten suboptimal. Leider ist ein Termin beim Wohnungsamt kurzfristig abgesagt worden, als bekannt wurde, in wessen Begleitung Herr Neumann den Termin wahrzunehmen gedachte. Dr. Bruno Albrecht, ein mit Lefeber und Rosen befreundeter Tierarzt, hat sich nun erboten, den Männern in einem ehemaligen Aussiedlerhof im Spessart vorläufig Unterkunft zu gewähren. Dieses Angebot wurde dem Vernehmen nach nicht zum ersten Mal gemacht.«
Schreyer und Broussier warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
Nora schaltete den Projektor ein. Über die Wand huschten Fotos von einem Gehöft, bestehend aus mehreren Gebäuden mit vertrockneten Geranien in den Blumenkästen. Dann sah man das Einfahrtstor einer Brauerei, und – auf der letzten Aufnahme in Schwarz-Weiß – einen unbefestigten schlammigen Waldweg.
»Die sogenannte Schreckenmühle liegt etwa zwei Kilometer außerhalb eines kleinen Weilers mitten in einem Waldgebiet. Das Haus hat sechs Zimmer, zwei Bäder, eine geräumige Wohnküche, alles sehr einfach, aber ausreichend. Geheizt wird mit Holz, der Vorrat würde für diesen Winter ausreichen.«
»Was ist mit der Verkehrsanbindung?«, fragte Cornelius.
»Es gibt nur die eine Zufahrtsstraße.« An der Wand erschien ein Satellitenbild von Google Maps, auf dem deutlich das braune Band erkennbar war, das sich durch den Wald bis zu einer kleinen Ansammlung braunroter Dächer schlängelte. »Und natürlich einige Fußpfade durch den Wald, die aber im Winter kaum passierbar sind.«
Cornelius machte sich Notizen, es sah aus, als zeichnete er einen Lageplan.
»Ist es überhaupt sinnvoll, die drei Männer gemeinsam unterzubringen? Bezüglich der Resozialisierungsbemühungen meine ich?«, fragte Schreyer.
»Bis jetzt reden wir nur von Lefeber und Rosen. Die beiden sind miteinander befreundet.«
Broussier schüttelte den Kopf. »Und was ist mit Tibursky? Hier gibt es keine Extrawurst! Entweder ziehen alle drei dort ein oder keiner. Oder, Cornelius?«
»Zum Observieren wäre die Lösung ideal. Von den Kosten und vom Aufwand her«, pflichtete der MEK-Leiter ihm bei.
»Es geht hier nicht nur um die Kosten, Herr Broussier«, warf Nora ein. »Ich finde Herrn Schreyers Einwand durchaus berechtigt. Wie sehen Sie das, Herr Neumann?«
Der Sozialarbeiter fuhr sich durchs Haar. »Ich habe ein bisschen Sorge, dass die Männer dort ständig aufeinanderhocken. Für sie ist regelmäßiger Kontakt mit der Außenwelt wichtig, auch wenn er sich auf eine kurze Unterhaltung beim Bäcker beschränkt. Behördengänge, kulturelle Angebote, Therapeutenbesuche, alles wesentlich leichter in einer Großstadt. Und wie soll das im Winter werden? Da kommen sie bestimmt nicht so einfach weg, oder? Ohne Auto.«
»Wir sind eigentlich ganz froh, wenn sie nicht wegkommen, dann können wir sie leichter im Blick behalten.«
»Vielleicht sollten wir die Männer gleich in die Psychiatrie einweisen? Dann würde Ihnen gar kein Aufwand entstehen«, erwiderte Nora sarkastisch.
»Ja, das wäre natürlich das Beste«, sagte Cornelius, an dem die Ironie vorbeiging, und sah hilflos zu Broussier hinüber, der die Augen verdrehte.
»Arbeit gibt es dort vermutlich auch nur in homöopathischen Dosen?«, schoss sie ihren zweiten Pfeil ab.
Neumann blätterte in seinen Unterlagen. »Ich könnte mit dem Eigentümer der ortsansässigen Brauerei sprechen, einem Herrn Kiefer, ob der bereit wäre, einem oder allen dreien eine Chance zu geben.«
»Eine Arbeitsstelle zu finden, wird für die Männer schwierig wenn nicht gar unmöglich sein, ganz egal ob in der Stadt oder auf dem Land«, sagte Broussier. »Das ist für mich kein Maßstab.«
»Sie gehen also von
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