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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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offenbar zu nahe gekommen.
    Als sie auf den Auslöser ihrer Kamera drückte, saß Lefeber längst wieder im Wagen.
    *
    Kiefer hörte, wie sein Name über die Sprechanlage der Praxis aufgerufen wurde. Er schlängelte sich zwischen altersschwachen Katzen hindurch, die auf dem Schoß ihrer nicht minder gebrechlichen Besitzerinnen argwöhnisch einen am Fußboden dösenden Dackel musterten. Der Kopf des Tieres steckte in einem Trichter, der Schwanz in einem Verband. Den Blick, mit dem er Kiefer ansah, konnte man nur als unterwürfig bezeichnen.
    Kiefer verließ das Wartezimmer und betrat den Behandlungsraum, der Anweisung der Arzthelferin folgend.
    Obwohl das Fenster weit offen stand, stank es nach Tierkot, Krankheit und panischer Angst. Kiefer versuchte, sich vorzustellen, wie auf dem Untersuchungstisch ein krankes Haustier eingeschläfert wurde. Er hatte in seiner Laufbahn viele Tiere sterben sehen, aber keines friedlich.
    Albrecht hatte ihm den Rücken zugewandt. Er warf ein paar blutige Handschuhe in den Abfalleimer, bevor er begann, sich die Hände zu waschen.
    Als er fertig war, drehte er sich zu seinem Besucher – und stutzte.
    »Waren Sie schon mal in meiner Praxis?«
    Kiefer verneinte.
    »Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Was kann ich für Sie tun?«
    Albrecht trat einen Schritt vor und blickte suchend auf den Boden. Doch der Mann hatte weder einen Käfig noch eine Transportbox dabei. Stattdessen griff er in die Innentasche seines Mantels, holte einen dunkelbraunen Gegenstand hervor und legte ihn auf den Tisch: ein Teddybär.
    Das Tier hatte seine besten Zeiten hinter sich. Ein Auge fehlte und obwohl die Naht an einer Seite mehrfach geflickt war, klebten kleine weiße Flocken am Fell, die von der Füllung stammten.
    Albrecht nahm das Kuscheltier hoch. Er strich ihm liebevoll über die Ohren und sagte: »Ich fürchte, diesen Patienten muss ich an einen Spezialisten überweisen.« Er hielt Kiefer den Bären hin. Doch der rührte sich nicht. Er fand das Getue des Arztes zum Kotzen.
    »Also: Wer sind Sie und was führt Sie her?«, fragte Albrecht.
    »Ich bin Tobin Kiefer. Ich möchte mit Ihnen reden.«
    »Worüber?«
    »Über das Haus.«
    »Welches …« In diesem Moment fiel es ihm blitzartig wieder ein. » Sie waren das, Sie haben damals bei der Versteigerung der Schreckenmühle mitgeboten, richtig?«
    »Darum geht es nicht«, erklärte Kiefer.
    »Ich verkaufe nicht, falls es darum geht«, sagte Albrecht.
    »Ich bin hier, weil ich die Interessen der Scheelbacher als Ortsvorsteher vertrete.«
    »Ist das ein Bürgermeister?«
    »So etwas in der Art.«
    »Und was wollen Sie von mir, Herr Sowas-in-der-Art-Bürgermeister?«, fragte Albrecht, einen ungeduldigen Blick auf die Armbanduhr werfend.
    »Sie hatten vor, ein Therapiezentrum in der Mühle einzurichten. Einen Streichelzoo für Kinder, die Opfer von Gewaltverbrechen wurden. Gestern sind drei Männer in die Schreckenmühle eingezogen. Straftäter, die schwere Gewaltverbrechen begangen haben. Was soll das?«
    »Diese Verbrechen liegen zwanzig Jahre zurück. Die Männer haben ihre Strafen verbüßt, sie haben an therapeutischen Maßnahmen teilgenommen, um einer Wiederholung vorzubeugen. Es besteht kein Grund zur Sorge, Herr Kiefer. Außer einem gelegentlichen Einkauf im Dorf werden die Männer Sie nicht behelligen.«
    »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Warum haben Sie Ihre Pläne geändert?«
    Für einen Moment hatte Kiefer den Eindruck, als ob Albrecht um eine Antwort verlegen war.
    »Es war eine Notsituation. Wir brauchten dringend eine Unterkunft für die Männer.«
    »Weil man sie in Frankfurt nicht haben wollte.«
    »Sie sind gut informiert.«
    Albrecht hielt ihn offenbar für einen Bauernburschen, der hinter dem Mond lebte. »Wir haben Fernsehen in Scheelbach. Sogar Internet. Highspeed. Nur weil es im Spessart Wälder aus Holz gibt statt Klötze aus Stahl, Glas und Beton, müssen Sie uns nicht für dumm verkaufen.«
    Albrecht lächelte wieder. »Das war auch nicht meine Absicht. Ich möchte Sie nur um etwas mehr Toleranz bitten. Sie wissen doch, was das ist: Toleranz?«
    Kiefer hatte gute Lust, Henk herzuzitieren, damit er diesem arroganten Idioten die Fresse polierte. Aber das musste warten. »Und wie lange sollen die Männer bleiben? Das ist doch sicher eine Übergangslösung?«
    »Ich fürchte nein. Wir haben keine Frist gesetzt.«
    »Und Ihre Pläne mit dem Therapiezentrum?«
    »Sind vorerst auf Eis gelegt.«
    Kiefer fühlte das Blut in seinen

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