Die Voliere (German Edition)
gegenüberliegenden Seite des Hofes, sieht er die Voliere, oder was davon übrig ist. Ein Jammer, dass Willi nicht darin herumfliegen kann, sondern in seinem beengten Käfig hausen muss.
War das ein Licht am Ende des Weges, das kurz aufgeblitzt ist? Rosen steht wie erstarrt am Fenster. Er versucht, etwas zu erkennen, doch je mehr er in die Finsternis stiert, desto mehr Lichtpunkte tanzen vor seinen Augen. Aber diese Irrlichter sind offenbar nur ein Trugbild seiner Fantasie und nachdem er minutenlang gesucht und nichts entdeckt hat, hört er seine Zähne klappern. Vor Kälte oder Angst kann er nicht sagen.
Endlich fällt ihm Chewbacca ein. Er liegt noch im Koffer. Rosen fischt ihn heraus, nimmt ihn mit ins Bett und schmiegt sich an sein verfilztes Fell. Er spürt die Stärke des Wookie und die Spannung, die seit Beginn des Abends auf ihm lastet, beginnt, sich zu lösen.
In Sekundenschnelle schläft er ein.
Seine erste Nacht in der Schreckenmühle.
*
Am Morgen fand Lefeber in der Scheune ein Fahrrad. Ein rostiges Damenrad ohne Gangschaltung, dafür mit zwei Plattfüßen, doch er konnte dieses Problem durch den Einsatz der direkt danebenliegenden Luftpumpe schnell beheben. Noch bevor Lefeber den Hof verlassen hatte, musste er feststellen, dass man Fahrradfahren entgegen der landläufigen Auffassung durchaus verlernen kann. Zumindest nach mehr als zwanzig Jahren im Gefängnis. Wie ein Betrunkener schlingerte er auf seinem Gefährt über den Hof und stürzte bei der ersten Unebenheit. Die Polizisten saßen in ihrem Wagen und äugten neugierig herüber.
Lefeber rappelte sich hoch und winkte ihnen zu. Alles in Ordnung, nichts passiert. Es schien sie nicht großartig zu interessieren, ob er sich den Hals brach.
Er klopfte die Blätter von der Jacke und hob das Fahrrad vom Boden auf. Die Lampe war verbogen, der Bremshebel verrutscht, Lefeber behob den Schaden notdürftig und setzte sich in Bewegung. Bis an den Waldrand, vielleicht sogar bis zum Ortseingang, wo die Straße geteert war, würde er schieben müssen. Erst wenn er sich wieder an diese Art der Fortbewegung gewöhnt hatte, würde er sich auch fahrend den Waldweg entlangtrauen.
Aus dem Haus war kein Laut zu vernehmen. Kurz vor der Biegung drehte er sich noch einmal um und musterte die graue Fassade, die wenig einladend wirkte. Ein dünner Rauchfaden stieg aus dem Kamin empor, eine Pfütze im Hof war zu Eis gefroren – es war kalt an diesem Morgen, bitterkalt und wolkenlos. Er setzte seinen Weg in Richtung Dorf fort. Keine fünf Meter weiter hörte er ein Hupen. Lefeber drehte sich um.
Einer der Polizisten war ausgestiegen und lehnte an der offenen Wagentür. »Wohin wollen Sie, Herr Lefeber?«, rief er ihm zu.
»Ins Dorf. Zum Bäcker.«
»Sie müssen uns vorher Bescheid geben.«
»Entschuldigung. Das hatte ich vergessen.«
»Warten Sie, wir kommen.«
Der Polizist stieg ein und ließ den Motor an. Dann setzten sie sich in Bewegung: Lefeber, der sein Fahrrad durch den Wald schob, und der dunkelblaue Wagen, der ihm in fünfzig Metern Abstand wie ein Schatten folgte.
Kurz vor dem villenähnlichen Einfamilienhaus, an dem Neumann gestern nach dem Weg gefragt hatte, ging die Schotterpiste in eine geteerte Straße über. Lefeber sah außer seinen Aufpassern niemanden auf der Straße. Zum zweiten Mal an diesem Tag bestieg er mit klopfendem Herzen den Drahtesel. Er trat kräftig in die Pedale und das Zusammenspiel der Kräfte verlieh ihm Stabilität. Er grinste, als er beschleunigte und ihm der kalte Wind um die Ohren pfiff. Sein Herz klopfte immer noch, aber dieses Mal vor Freude, aus einem Gefühl der Freiheit heraus. Die Polizeieskorte hinter ihm ignorierte er.
Die Bäckerei befand sich etwa in der Mitte des Ortes, direkt an der Durchfahrtsstraße. Das Erscheinungsbild des Hauses verströmte Vergangenheit aus jeder Pore, angefangen beim Schild über der Eingangstür mit einer ungelenk gemalten Brezel und der Aufschrift Bäckerei Ludwig .
Vor dem Zigarettenautomaten neben dem Eingang vertraten sich drei Heranwachsende die Beine. Sie erwiderten Lefebers Gruß nicht, beobachteten ihn stattdessen neugierig, und als er die Stufen zum Eingang hinaufging und sich die Tür mit einem Klingeln öffnete, hörte er sie in seinem Rücken lachen.
Das Innere der Bäckerei entpuppte sich als Überraschung. So altbacken die Fassade des Geschäftes auch wirken mochte – hier gab es alles, was das kosmopolitische Herz begehrte. In einem Korb direkt neben der Kasse lag
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