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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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er zum ersten Mal mehrere Stunden am Stück stiften gegangen. Aber er schwört hoch und heilig, er habe sich in der nahen Umgebung aufgehalten. Auf Lefebers Einwand, sonst hätte er ja auch den Alarm bei der Polizei ausgelöst, antwortet er nur mit einem Grinsen.
    Für Rosen ist der Tunnel zu klein. Schon beim Blick in das schwarze Loch ergreift ihn Beklemmung. Er muss auf die Knie hinunter und kriechen, doch bereits auf den ersten Metern befällt ihn eine Panikattacke und er weigert sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Adam schickt ihn zurück, er muss rückwärtskrabbeln, weil er sich in dem engen Gang nicht umdrehen kann. Die Lichtkegel von Lefebers und Tiburskys Taschenlampen werfen unruhige Schatten an die Wände des Tunnels, hinter einer Biegung verschwinden sie plötzlich.
    Nun ist Rosen allein. Er hört seinen hektischen Atem, reibt sich die kalten Hände. Unschlüssig bleibt er zehn Minuten lang am Eingang des Tunnels stehen. Was ist, wenn die beiden nicht mehr zurückkehren? Sich absetzen und ihn alleine zurücklassen? Nein, so etwas würde Adam nicht tun.
    Er hört ihre Stimmen, bevor er die beiden Männer sehen kann. Dann plötzlich wieder Licht im Tunnel. Rosen seufzt und klatscht vor Freude in die Hände. Sie sind wieder da! Adam sagt, der Tunnel endet an einer Lichtung, etwa fünfzig Meter vom Zufahrtsweg entfernt, jedoch hinter einem mit Moos bewachsenen Felsblock und Büschen verborgen. Durch das Dickicht hätten sie die Polizeiautos ausmachen können. Niemand hätte sie bemerkt.
    Vor Freude klatscht Rosen ein zweites Mal in die Hände. Das klingt nach einem Abenteuer, auch wenn er selbst nicht daran teilnehmen kann, weil er sich nicht in den Tunnel traut.
    Tibursky steht, die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben, hoch aufgerichtet da und mimt den Helden. Der Entdecker des geheimen Fluchttunnels!
    Adam drückt die Holztür zu, er muss mit dem Fuß dagegentreten, damit sie richtig schließt. Dann dreht er sich zu Rosen um. »Geh in die Scheune. Dort liegen noch ein paar alte Dachlatten. Im Vorratsraum findest du einen Zimmererhammer und lange Nägel. Bring alles her. Und dann nagelst du den Eingang zu.«
    Tiburskys Gesicht verzieht sich. Dann stapft er wutschnaubend davon.
    Mittwoch, 13. November
    Einen Tag nach Tobin Kiefers missglücktem Gespräch in Albrechts Praxis erhielten die Scheelbacher ›offiziellen‹ Besuch. Henk Wawerzinek überbrachte allen Haushalten im Dorf eine mündliche Einladung zu einer Informationsveranstaltung im Gemeindehaus. Die Art, wie diese Einladung vorgebracht wurde, ließ keinen Zweifel daran, dass mit der Anwesenheit jedes Einwohners gerechnet wurde. Dem Ruf ihres Ortsvorstands folgten die Scheelbacher bereitwillig – schon seit 1508, als der Weiler auf einer gerodeten Waldfläche entstand.
    Am selben Abend saßen die meisten ›Haushaltsvorstände‹ und einige Ehefrauen an Eichentischen aus heimischem Holz im Gemeindesaal über der Feuerwache, in lebhafte Gespräche vertieft. Abgesehen von den Dorffesten bot sich den Nachbarn nur selten die Gelegenheit für eine Zusammenkunft aller und folglich gab es immer viel zu bereden. Die Brauerei Kiefer hatte einige Kisten Bier und Apfelwein gestiftet, wie üblich bei Versammlungen dieser Art. An der Eingangstür am gegenüberliegenden Ende des Raumes hatte jemand eine Leinwand aufgebaut und einen Beamer installiert, dessen Anschlusskabel lose auf dem Tisch lag. Ein Lämpchen leuchtete an einem kabellosen Mikrofon, das sich neben dem Beamer befand.
    Das Gemeindehaus und seine Ausstattung hatten sich die Scheelbacher anlässlich der Fünfhundertjahrfeier vor fünf Jahren mit einer kräftigen Finanzspritze der Brauerei gegönnt, doch wurde das Haus nur sehr selten genutzt. Der nächste Anlass war das alljährliche Dorffest, das in ein paar Tagen stattfand. Dass Kiefers ›Informationsabend‹ in irgendeiner Weise mit der bevorstehenden Festivität zu tun hatte, daran zweifelte niemand.
    Doch der Veranstalter ließ auf sich warten. Dafür betrat Henk Wawerzinek den Saal. Kiefers rechte Hand lebte gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Mette und ihrem geistig behinderten Sohn Timm in einer Wohnung direkt neben der Bäckerei Ludwig, wo Mette als Verkäuferin arbeitete und Timm leichte Hilfsarbeiten erledigte. Und obwohl die meisten Scheelbacher Angst vor Henk Wawerzinek hatten, wussten sie zu schätzen, dass er seine Schwester bei ihrem schweren Los unterstützte.
    Wawerzinek hatte vier junge Männer im

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