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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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deren Insassen Rosen jedoch nirgends entdeckt. Zeitungsreporter vermutlich.
    Sein Atem hat sich beruhigt, nun muss er dringend weiter. Wer weiß, wie weit Tibursky schon gekommen ist? Rosen hält sich in sicherer Entfernung vom Zufahrtsweg. Zwar hat er Angst, alleine durchs Unterholz zu laufen, doch noch größer ist die Angst, jemandem zu begegnen.
    Die Umrisse der Bäume zeichnen Schatten auf den Waldboden, die Nacht ist sternenklar, so kann er wenigstens die Taschenlampe ausschalten. Es riecht harzig und klamm und manchmal nach Rauch, vermutlich vom Kamin auf dem Dach des Wohnhauses. Rosen hält sich etwa zwanzig Meter abseits des Weges, folgt dessen Windungen durch den Forst in einer parallelen Spur. Als zu seiner Rechten die dunklen Umrisse des baufälligen gesperrten Aussichtsturms auftauchen, legt er eine Pause ein. Er muss sich dringend hinsetzen, um zu verschnaufen. Seine Konstitution ist miserabel: Er hat Seitenstechen und Kopfschmerzen und schnappt nach Luft. Seit Jahren hat der Gefängnisarzt ihm dringend nahegelegt, sich mehr zu bewegen, gerade weil er Diabetiker ist, doch Rosen hat seine Worte ignoriert. Nun erhält er die Quittung dafür.
    Mühsam richtet er sich auf, schickt sich an, weiterzugehen. Da sieht er auf dem Weg im Mondlicht eine Gestalt in seine Richtung laufen. Seine Augen sind nicht die besten, sind es mehrere Menschen? So leise wie möglich setzt er sich in Bewegung. Er versucht zu schleichen, aber das ist nicht so einfach, wenn bei jedem Schritt Äste knacken und Tannennadeln unter den Sohlen knistern. Ein dünner Ast prallt gegen sein Gesicht, Rosen stößt einen Schrei aus. Mit klopfendem Herzen bleibt er stehen und sieht sich um. Die Gestalt scheint verschwunden zu sein. Er hat sie abgehängt – Gott sei Dank!
    Doch als er die nächste Baumwurzel umrundet hat, lehnt die Gestalt fünf Meter von ihm entfernt an einem Stamm. Sie sieht ihm direkt ins Gesicht.
    *
    Als Rosen im Tunnel verschwunden war, setzte Lefeber sich ins Wohnzimmer und starrte aus dem Fenster. Er wartete darauf, dass das Chaos losbrach.
    Umgehend würden Motoren aufheulen, Blaulichter den Wald in kaltes Licht tauchen und die Hetzjagd würde beginnen. Tibursky musste längst den Sicherheitsbereich verlassen haben, so lange, wie er bereits abgängig war.
    Aber zu seiner Verwunderung geschah nichts dergleichen. Die Einsatzwagen standen reglos am Wegrand.
    Lefeber war verwirrt. Dann fasste er einen Entschluss.
    Er zog etwas Warmes an, besorgte sich die zweite Taschenlampe – die andere hatte Rosen mitgenommen – und schlich zur Mühle. Er stieg hinab in den Kühlkeller, durchquerte innerhalb weniger Minuten den geheimen Tunnel und tauchte am anderen Ende hinter dem Findling wieder auf. Ein Blick zurück zum Haus bestätigte: Die Polizisten ahnten nach wie vor nichts davon, dass sich keiner der drei Bewohner mehr im Haus befand.
    Lefeber rannte zum Weg, der sich im Mondlicht friedlich durch den Wald schlängelte. Trotz der vielen Windungen war das vermutlich die kürzeste Strecke nach Scheelbach. Und die Zeit drängte. Was immer Tibursky auf dem Dorffest zu schaffen hatte – die Scheelbacher würden ihn kaum mit offenen Armen empfangen.
    Weit vor sich, an einem Stützpfosten des Aussichtsturms, sah er eine ausladende Gestalt kauern; das musste Heinz Rosen sein. Weit war er nicht gekommen, was bei seiner Statur und seinen körperlichen Gebrechen kein Wunder war.
    Rosen blickte in seine Richtung und richtete sich auf. Dann tauchte die Silhouette hinter dem Turm ins Unterholz ein. Lefeber rannte los, er musste Rosen abfangen. Etwa zweihundert Meter hinter dem Turm zweigte ein Trampelpfad ab. Wenn Lefeber richtig lag, würde dieser Pfad Rosens Weg kreuzen.
    Er lag richtig. Wenige Augenblicke später lief Rosen ihm direkt in die Arme. Keuchend und mit entsetztem Blick fiel er vor ihm auf die Knie, bis er erkannte, wen er vor sich hatte.
    »Adam«, jammerte er, »ich bin zu langsam!«
    »Sei still, du Trottel! Geh sofort zurück«, flüsterte Lefeber und half Rosen, aufzustehen. »Ich kümmere mich darum.«
    Rosen sah ihn dankbar an. Er klappte den Mund auf, um etwas zu sagen, besann sich aber und machte sich augenblicklich auf den Rückweg, erleichtert, die heikle Aufgabe jemand anderem zu überlassen.
    Lefeber sah den breiten Rücken zwischen den Baumstämmen verschwinden. Dann rannte er weiter – das Fest musste bereits in vollem Gang sein.
    *
    Der Dorfverschönerungsverein hatte ganze Arbeit geleistet: Pünktlich zum

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