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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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den Schultern. Er habe den Vogel gesehen, da sei er sich ganz sicher. Aber es dämmere bereits, jetzt könne man ohnehin nichts mehr erkennen. Und kaum hat er den Satz beendet, verschwindet er in die Küche.
    Später am Abend, als alle sich in ihre Zimmer zurückgezogen haben, klopft Rosen noch einmal leise an Tiburskys Tür. Es kostet ihn große Überwindung, den Mann um einen Gefallen zu bitten, aber er muss mehr über den Vogel erfahren, den er im Wald gesehen hat. Rosen will hundertprozentig sicher sein, dass es Willi ist.
    Doch aus Tiburskys Zimmer kommt keine Antwort. Auch unten ist er nicht zu finden.
    Rosen probiert es an Lefebers Zimmer. Von drinnen dringt ein gedämpftes »Moment!« an sein Ohr. Im Zimmer wird etwas verschoben, Quietschen von Holz auf Holz, dann öffnet Adam die Tür. Er trägt einen Arbeitsoverall, der genau wie seine Finger mit Farbe verschmiert ist. In der rechten Hand hält er einen Pinsel, die linke hat er hinter dem Rücken verborgen. An der Seite sieht Rosen die Staffelei stehen; Adam hat sie so an die Wand gerückt, dass nicht zu sehen ist, woran er arbeitet. Das war in der JVA schon so. Man durfte immer nur das fertige Bild sehen, nie den Entstehungsprozess.
    Sobald Lefeber erfährt, dass von Tibursky wieder einmal jede Spur fehlt, wird er kreidebleich. Ihm schwant Schlimmes, er drängt darauf, seinen Verdacht sofort zu überprüfen; gemeinsam eilen sie die Treppe hinunter. Sie holen eine Taschenlampe aus der Küche, dann bedeutet er Rosen, ihm zum Mühlengebäude zu folgen.
    Als sie am Ende des Kühlkellers stehen, ist aus Lefebers Verdacht Gewissheit geworden: Die Latten, mit denen Rosen erst vor ein paar Tagen den Eingang vernagelt hat, stehen in Reih und Glied nebeneinander an der Wand. Hammer, Zange und die herausgezogenen Nägel liegen ordentlich ausgebreitet auf der Erde.
    Aus der sperrangelweit geöffneten Holztür, die in den Geheimgang führt, weht ihnen Eiseskälte entgegen.
    Rosens Knie drohen nachzugeben. Sollte Tibursky tatsächlich auf das Fest gegangen sein, gibt es Ärger. Großen Ärger. Er steckt den Kopf in das finstere Loch hinein, ruft seinen Namen, aber es kommt keine Antwort.
    »Diesmal ist er zu weit gegangen«, knurrt Lefeber. »Buchstäblich.«
    Rosen scharrt mit den Füßen, als Reaktion auf die Anspannung. »Wir müssen ihn zurückholen.«
    Lefeber schüttelt den Kopf. »Wir sagen den Polizisten Bescheid. Wir halten nicht den Kopf für Tibursky hin. Lauf zu, sag ihnen, dass er sich abgeseilt hat.«
    »Wenn sie ihn fangen, nehmen sie ihn mit und sperren ihn ein.«
    »Das will ich hoffen«, sagt Lefeber.
    »Dann kann er mir aber nicht mehr zeigen, wo er Willi gesehen hat.«
    Lefeber stutzt. »Das kann er sowieso nicht, Heinz! Er hat dich angelogen, um dich zu ärgern.«
    »Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht.«
    »Herrgott noch mal, dann gehe ich eben selber.« Lefeber macht Anstalten, sich in Bewegung zu setzen.
    Rosen überlegt nicht lange, er lässt seine schwere Hand auf Lefebers Schulter sinken.
    »Nein, das will ich nicht. Wir holen ihn zurück.«
    Lefeber klopft mit dem Zeigefinger auf seine blaue Armbanduhr. »Sie werden euch beide einfangen, sobald der Alarm losgeht, spätestens am Waldrand. Das ist Wahnsinn!«
    »Willi alleine im Wald, das ist Wahnsinn«, schluchzt Rosen.
    Bevor Lefeber sich wehren kann, reißt er ihm die Taschenlampe aus der Hand und quetscht sich wimmernd in den dunklen Tunnel. Wenn er sich beeilt, kriegt er Tibursky noch zu fassen, bevor er eine Dummheit begehen kann.
    *
    Zwei. Eins. Zwei.
    Tief gebückt einen dunklen und feuchten Tunnel zu durchqueren, im trüben Lichtschein einer Taschenlampe, gehört zu den schlimmsten Erfahrungen, die Heinz Rosen in seinem Leben macht. Einmal stolpert er über etwas, das am Boden liegt – eine Wurzel möglicherweise –, und prallt gegen die Tunnelwand. Mit dem Gesicht streift er etwas Feuchtes, Schleimiges, das zuerst einen Angstschauder und danach Brechreiz auslöst. Mit letzter Kraft taumelt er durch den Ausgang ins Freie; schwer atmend lässt er sich neben den Fels sinken. Viel Zeit bleibt ihm nicht. Er wagt einen Blick zurück zum Haus: In unmittelbarer Nähe stehen die beiden Polizeiwagen, die Beamten verborgen im Dunkel, das im Inneren herrscht, nichts regt sich rundum. Etwas weiter entfernt parkt ein einzelner Übertragungswagen. Es sieht aus, als interessierten die anderen Fernsehsender sich inzwischen für aktuellere Themen. Darüber hinaus gibt es noch zwei einzelne Pkws,

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