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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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gewesen waren.
    Plötzlich hatte sie es eilig, ihr Glas zu leeren. Sie nahm ihre Handtasche, die an der Stuhllehne hing.
    »Ich muss los.«
    Tibursky suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, sie zum Bleiben zu bewegen. Er legte seine Hand auf ihren Oberarm. »Haste Lust zu tanze?«
    Anna versuchte nicht, sich ihm zu entziehen. In ihrem Blick lag Fassungslosigkeit und ihr Goldkreuz hüpfte mit, als sie schluckte. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
    Bevor sie ihm davonlaufen konnte, zog er sie auf die Tanzfläche.
    Die Band spielte Dancing Queen von Abba.
    *
    Im Saal herrschte ›freiwilliges‹ Rauchverbot, die Frauen vom Dorfverschönerungsverein hatten es durchgesetzt und Tobin Kiefer somit nach draußen vor den Seiteneingang verbannt. In seinem Mund steckte eine Montecristo No.1 , deren holzartiger Duft in Schwaden über der Gruppe von Männern lag, die hinter der Glut ihrer Zigaretten die letzten Fußballergebnisse kommentierten, und das umso angriffslustiger, je höher der Alkoholpegel stieg. Kiefer fühlte sich wunderbar, es lief alles zu seiner Zufriedenheit. Selbst die vollbusige Sandy, 21, Aufn., AV, span., EL, NS, ZK, nur für kurze Zeit in Aschaffenburg hatte für später in der Nacht noch einen Termin für ›Herrn Schmitz aus Hanau‹ freimachen können.
    Die Tür zum Saal wurde von Henk Wawerzinek aufgerissen. »Scheff, kommst du mal?«
    »Ist euch das Bier ausgegangen?«, feixte Kiefer und erntete ein paar devote Lacher von den Umstehenden.
    »Es ist dringend.«
    Kiefer legte die qualmende kubanische Zigarre auf einen Mauervorsprung. »Das Ding ist für euch tabu. Bin gleich wieder zurück.« Dann folgte er Henk in den Gemeindesaal.
    Die Blicke aller Anwesenden waren auf die Tanzfläche gerichtet. Tobin Kiefers Frau tanzte mit einem anderen Mann. Dessen Augen waren halb geschlossen.
    »Der Typ muss lebensmüde sein«, spottete Henk.
    Das Paar drehte sich im Kreis. Der Mann, der Tobin Kiefers Frau im Arm hielt, wandte ihm für einen Moment das Gesicht zu. Nun endlich erkannte der Ortsvorsteher von Scheelbach, mit wem seine Frau das Tanzbein schwang. Das Rauschen in seinen Ohren schwoll zu einem Donnergrollen an, seine Hände ballten sich zu Fäusten.
    »Erledige das«, presste er hervor. Er drückte Wawerzinek seinen Autoschlüssel in die Hand. »Setz ihn in mein Auto, wir machen einen Ausflug.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und kehrte zu seiner Montecristo No.1 zurück.
    Wawerzinek bedeutete dem Bandleader, einen Moment Pause zu machen. Wer bislang noch nicht das Geschehen auf der Tanzfläche beobachtet hatte, tat es nun, überrascht von der jähen Stille. Henk hielt auf das Paar zu, das unschlüssig wartete, der Dinge harrend. Als Anna Kiefer ihn näher kommen sah, wich sie einen Schritt zurück, Tränen in den Augen. Tibursky versuchte, zu flüchten, doch Wawerzinek packte ihn am Ohr und schleifte ihn hinter sich her, von der Tanzfläche herunter, quer durch den Scheelbacher Gemeindesaal. Vor den Augen von dreihundert oder mehr Besuchern stolperte Wolf Tibursky, wie ein ungezogener Zögling von einem strengen Lehrer gedemütigt, durch den Seiteneingang ins Freie. Die Tür fiel hinter ihm zu und im selben Moment setzten die Musik und der Lärm wieder ein. Dafür verstummten die Gespräche draußen. Auch Tibursky schwieg, das Gesicht zu Boden gerichtet. Tobin Kiefer sah dem ungewöhnlichen Gespann, das in Richtung Parkplatz verschwand, voller Vorfreude nach. Er sog den Rauch der Zigarre ein, bis die Glut knisterte, und stieß dann einen perfekten Ring aus. Er stach seinen Zeigefinger in die Mitte des Rauchkringels, der daraufhin zerfaserte und sich auflöste. Dann löschte er vorsichtig die Glut und legte die Zigarre abermals auf dem Mauervorsprung ab.
    *
    Im Schatten des Toilettenwagens auf dem Parkplatz kauerte Adam Lefeber. An sämtlichen Eingängen waren schwarz gekleidete Sicherheitsleute postiert. Für ein kleines Dorffest schien ihm das reichlich übertrieben, bis ihm dämmerte, dass er wohl selbst diese Situation mit ausgelöst hatte. Irgendwann musste Tibursky ja mal raus zum Pinkeln, außerdem konnte Lefeber von seinem Standort aus beide Eingänge überblicken.
    Vor zwanzig Minuten war der Junge aus dem Bäckerladen aufgetaucht, doch bisher hatten weder er noch Tibursky das Gebäude verlassen.
    Endlich erschien sein Mitbewohner am Seiteneingang – doch nicht, um seine Blase zu leeren. Er ging gebeugt, ein Glatzköpfiger zog ihn am Ohr hinter sich her, eine Geste tiefster

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