Die Voliere (German Edition)
Erniedrigung. Die Umstehenden sahen den beiden neugierig nach und steckten die Köpfe zusammen. Jetzt erinnerte Lefeber sich auch an den Mann: Er war es gewesen, der ihn mit seinen Kumpanen bedroht und provoziert hatte, als er das Fahrrad reparierte. Der Schläger, der erst abgehauen war, als die Polizisten eingegriffen hatten.
Der Kahlköpfige hob den linken Arm, auf dem Parkplatz flammten die Lichter einer Limousine auf, keine zwanzig Meter von Tibursky entfernt. Was immer sie mit ihm vorhatten – es sah nicht gerade nach einer Einladung zum Tee aus. Wenn Lefeber etwas unternehmen wollte, dann musste es sofort geschehen.
Er fasste sich ein Herz und rannte auf den Wagen zu. Der Kahlköpfige öffnete die Fondtür.
»Ist etwas nicht in Ordnung? Kann ich helfen?«, bot Lefeber mit klopfendem Herzen an.
Die Glatze stieß Tibursky auf den Rücksitz und ließ die Tür ins Schloss fallen. In diesem Moment hörte Lefeber die Stimme eines zweiten Mannes hinter sich.
»Wir fahren zu mir.«
Mit seinem Stiernacken, dem breiten Gesicht und den straff nach hinten gegelten Haaren sah er aus wie jemand, bei dem man auf alles gefasst sein musste. Die anthrazitfarbene Weste und das offene Hemd verliehen ihm eine trügerische Seriosität, wie man sie vom Paten einer sizilianischen ›Familie‹ erwartete. Unbewegt studierte er Lefebers Gesichtszüge. Schließlich zeigte er mit dem Finger auf ihn: »Der Typ gehört auch dazu. Den überlasse ich deinen Kameraden.«
Lefeber langte nach dem Türgriff, um Tibursky herauszulassen. Sein Mitbewohner sah ihn durch die Scheibe an wie ein vor Angst erstarrtes Insekt im Netz einer Spinne. Ein stechender Schmerz durchfuhr Lefebers Handgelenk. Der Glatzkopf ließ blitzschnell einen silberglänzenden Gegenstand in der Tasche verschwinden. Der pulsierende Schmerz, der nun einsetzte, trieb Lefeber die Tränen in die Augen.
Er wurde an der Schulter vom Wagen weggeschoben, in Richtung der öffentlichen Toilette. Widerstand war zwecklos, der Kahlköpfige hielt seine Schulter im eisernen Griff. Neben dem Eingang zum Pissoir standen zwei junge Männer, heftig an ihren Zigaretten ziehend, mit Bierflaschen in der anderen Hand. Auch ihre Gesichter kamen Lefeber bekannt vor – sie gehörten zur Schlägertruppe des Glatzköpfigen. Der offensichtliche Anführer stieß Lefeber mit einem höhnischen Lachen in Richtung seiner Kumpane. »Unser Freund hat sich wohl verlaufen. Der braucht dringend jemanden, der ihn auf den rechten Weg bringt.«
Einer der beiden legte ihm kumpelhaft den Arm um die Schulter und führte ihn vom Parkplatz weg auf einen Spielplatz zu. Vor dem dunklen Nachthimmel zeichnete sich ein drei Meter hohes Holzgerüst ab.
»Du schaukelst doch gerne, oder?«
Aus dem Augenwinkel bekam er mit, wie die Limousine den Parkplatz verließ. Tiburskys bleiches Gesicht leuchtete im Fond wie der Halbmond über der Festhalle. Lefeber spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Er fragte sich insgeheim, wen von beiden das schlimmere Los getroffen hatte.
*
Der Lichtkegel des Audis streifte ein Eisentor. Gemächlich rollten die Gitterstäbe mit den Ornamenten und stilisierten Blättern aus schwarzem Eisen zur Seite, das Auto fuhr in den Hof, dann öffnete sich ein Garagentor wie das Maul eines Drachen. Der Fahrer stieg bei laufendem Motor aus, Sekunden später tauchte er in die Schwärze der Garage ein und trat mit einer Schaufel und einer Sprühdose in den Händen wieder heraus. Der Glatzköpfige blieb unbewegt neben Tibursky sitzen, tippte auf seinem Mobiltelefon herum. Tibursky beobachtete durch das Rückfenster, wie die Gegenstände im Kofferraum landeten und sich die Klappe wieder schloss. Der Fahrer stieg ein und ließ den Wagen aus dem Hof rollen.
»Wo fahrn mer hin?«, fragte Tibursky matt.
Auf die Antwort wartete er vergeblich.
Eine gefühlte Ewigkeit glitt der Audi durch die Nacht, die leise Stimme eines Radiomoderators, der begleitet von Oldie-Musik Liebesgrüße und Geburtstagswünsche an Angehörige überbrachte, die einzigen menschlichen Laute im Inneren.
Der Wagen verließ das Dorf, holperte über Feldwege in einen Wald hinein, der jedoch nicht der Scheelbacher Forst war. Das erkannte Wolfgang Tibursky, der den Wald ringsum inzwischen selbst bei Dunkelheit besser kannte als die meisten in der fünften Generation hier ansässigen Scheelbacher bei Tag.
»Hast du Angst?«, wollte der Kahlköpfige wissen.
»Nadürlisch«, flüsterte Tibursky, der einsah, dass jede andere Antwort
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