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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Aufschneiderei gewesen wäre.
    »Gut. Hätte ich an deiner Stelle auch. Angst kann einem den Arsch retten. Manchmal«, fügte er kichernd hinzu.
    An einer kleinen Lichtung war die Fahrt zu Ende. Der Glatzköpfige stieg aus, umrundete den Wagen und zerrte Tibursky unsanft aus dem Auto. Er befahl ihm, sich mit beiden Händen am Wagen abzustützen.
    Das metallische Klappern, als der Glatzkopf die Sprühflasche schüttelte, klang wie ein Trommelwirbel im Zirkus, kurz bevor der Artist den lebensgefährlichen Dreifachsalto in Angriff nahm.
    »Pass bloß auf, dass mir nichts davon ans Auto kommt«, warnte der Fahrer.
    »Keine Sorge, Scheff.«
    Offenbar um der Warnung Folge zu leisten, wurde Tibursky vom Wagen weggezogen und an einen Baum gestellt. Was auch immer der Glatzkopf auf seinen Rücken sprühte, es dauerte eine ganze Weile, bis er ihm endlich gestattete, sich wieder umzudrehen. Der Fahrer holte die Schaufel und eine Nylontasche aus dem Kofferraum, legte die Schaufel ab, öffnete den Reißverschluss der Tasche und zog ein Gewehr heraus.
    Tiburskys Beine gaben nach, er musste sich an den Baum klammern. Obwohl es in diesem Moment wahrscheinlich angebracht gewesen wäre, mit Engelszungen zu reden, um seinen Kopf aus der Schlinge zu befreien, brachte er keinen Ton heraus. Der Fahrer entnahm seelenruhig Patronen aus einer Pappschachtel und steckte sie in eine Öffnung an der Seite des Gewehrs. Schließlich zog er an einem Hebel, ließ etwas zuschnappen und nickte zufrieden. Dann sah er Tibursky wie etwas an, das man am liebsten vom Schuh kratzen würde, und richtete schließlich das Wort an ihn. »Was willst du von meiner Frau?«
    Er war zu keinem klaren Gedanken fähig. Sein Gehirn versuchte gleichzeitig, eine unverfängliche Antwort auf die Frage und eine brauchbare Lösung zu finden, wie er sich aus seiner misslichen Lage befreien könnte. In seinen Ohren hallte ein Chor hysterischer Stimmen, die durcheinanderschrien und ihn wie versteinert dastehen ließen. Tibursky blieb stumm.
    Der Glatzköpfige holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Tiburskys jaulte auf, seine Wange brannte wie Feuer.
    »Der Scheff hat dich was gefragt.«
    »Sie kann nix dafür«, keuchte Tibursky.
    »Natürlich kann sie nichts dafür«, lachte der Fahrer. In Sekundenschnelle wurde sein Gesichtsausdruck todernst.
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Isch wolld nix von ihr. Nur tanze.«
    »Sonst nichts?«
    »Es war ganz hammlos, werklisch.«
    Der Fahrer beäugte den Glatzköpfigen. »Es war also ganz harmlos. Er wollte sie gar nicht ficken, meine Frau. Na, dann ist ja alles in Ordnung. Dann können wir ja umkehren und einen zusammen trinken.«
    Tibursky sah nervös von einem zum anderen. Besser, er hielt den Mund in diesem Spiel, das er nicht verstand. Der Adjutant brach in wieherndes Gelächter aus, der Fahrer stimmte ein. Er lachte so heftig, dass Speicheltröpfchen auf Tiburskys Gesicht landeten. Als der Kerl sich wieder beruhigt hatte, sagte er: »Du hast sechzig Sekunden Vorsprung.«
    Dann lud er die Waffe durch und legte an. Die Mündung des Gewehrs zeigte genau auf Wolfgang Tiburskys Kopf.
    Sein Herz begann zu rasen, sein Verstand sagte ihm, es sei unvernünftig, stehen zu bleiben, wenn der Lauf einer Waffe auf einen gerichtet war und man ihm einen Vorsprung von einer Minute gewährte. Doch die Panik lähmte ihn und die Beine versagten ihren Dienst.
    »Fünfundvierzig Sekunden«, zählte der Glatzkopf. »Wenn ich du wäre, würde ich Stoff geben.«
    Tibursky rannte los – mitten in den stockdunklen Wald hinein.
    *
    Timm lehnte an der Bar und wartete auf den passenden Augenblick. Bis kurz vor neun hatte er Gläser gespült, unter den gestrengen Augen seiner Mutter, die glaubte, ihn vor der bösen Welt beschützen zu müssen. Er war sich bewusst, dass er nun, da er achtzehn geworden war, ›Dinge‹ tun konnte. Bier trinken beispielsweise, oder rauchen. Und genau das hatte er sich für heute Abend vorgenommen. Die Jungs draußen vor dem Eingang forsch um eine Zigarette zu bitten, sich an ein ruhiges Plätzchen zu verkrümeln und herauszufinden, ob einem wirklich schlecht wurde und ob man wirklich davon kotzen musste, wie seine Mutter immer wieder behauptete. Das Feuerzeug steckte einsatzbereit in seiner Jeanstasche, er konnte die harten Kanten spüren.
    Er wartete, trank eine Cola und sah sich um. Auf der Tanzfläche herrschte bereits Hochbetrieb, die Band spielte Highway to Hell , einen der besten Songs von

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