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Die volle Wahrheit

Die volle Wahrheit

Titel: Die volle Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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taugt nichts .«
    Herr Nadel war so sehr erstaunt gewesen, dass er ganz vergessen hatte, das eine oder andere wertvolle Stück in seiner Tasche verschwinden zu lassen. Aber eigentlich begegnete er diesem Phänomen nicht zum ersten Mal. Wenn sie gelegentlich eine Villa niederbrennen mussten, legte Herr Tulpe großen Wert darauf, zuvor alle unersetzlichen Gegenstände in Sicherheit zu bringen, auch wenn das bedeutete, dass sie Zeit verloren und die Bewohner an ihre Betten fesseln mussten. Irgendwo unter dem selbst geschaffenen Narbengewebe und im Zentrum des brodelnden Zorns wohnte die Seele eines wahren Kenners mit einem unfehlbaren Instinkt für Schönheit. Das war sehr ungewöhnlich für einen Mann, der Badesalz fixte.
    Die beiden Flügel der großen Tür am anderen Ende des Raums schwangen auf. Dahinter erstreckte sich Dunkelheit.
»Herr Tulpe?«, fragte Herr Nadel.
    Tulpe unterbrach die sehr sorgfältige Begutachtung eines Tisches, der vermutlich von Tapasi stammte und mit wundervollen Einlegearbeiten versehen war, bestehend aus mehreren …ten Furnieren.
    »Hm?«
    »Es wird Zeit, noch einmal den Bossen gegenüberzutreten.«
    William wollte gerade sein Büro verlassen, als jemand an die Tür klopfte.
    Er öffnete sie vorsichtig, und sie wurde sofort ganz aufgestoßen. »Du völlig, völlig… undankbare Person!«
    Es war nicht angenehm, so genannt zu werden, erst recht nicht von einer jungen Frau. Bei ihr klang das Wort »undankbar« wie ein Ausdruck, der bei Herrn Tulpe drei Punkte und mindestens ein t erforderte.
    William kannte Sacharissa Kratzgut; für gewöhnlich half sie ihrem Großvater in seiner kleinen Werkstatt. Er hatte ihr nie große Aufmerksamkeit geschenkt. Sie sah nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht aus. Sie war einfach eine junge Frau, die eine Schürze trug und im Hintergrund elegante Dinge verrichtete: Zum Beispiel wischte sie vorsichtig Staub oder rückte Blumen zurecht. Wenn er sich tatsächlich eine Meinung über sie gebildet hatte, so glaubte William, dass Sacharissa an deplatzierter Freundlichkeit litt und Etikette mit Vornehmheit verwechselte. Sie hielt Manieriertheit irrigerweise für gute Manieren.
    Jetzt bekam er Gelegenheit, sie viel deutlicher zu sehen, hauptsächlich deshalb, weil sie ihn durchs Zimmer verfolgte. In der benebelten Art von Leuten, die sich dem Tode nahe glauben, wurde ihm klar, dass Sacharissa eigentlich ganz gut aussah – vorausgesetzt, man dachte in einem Zeitrahmen von mehreren Jahrhunderten . Die Konzepte der Schönheit verändern sich im Lauf der Zeit, und vor zweihundert Jahren hätten Sacharissas Augen den großen Maler Caravati veranlasst, seinen Pinsel zu zerbeißen. Vor dreihundert Jahren hätte der Bildhauer Mauvaise einen Blick auf ihr Kinn geworfen und sich den Meißel auf den Fuß fallen lassen. Vor tausend Jahren wären die ephebianischen Dichter der Ansicht gewesen, dass ihre Nase mindestens vierzig Schiffe in See stechen lassen konnte. Und sie hatte gute mittelalterliche Ohren.
    Ihre Hand allerdings war ziemlich modern und versetzte William eine schallende Ohrfeige.
»Die zwanzig Dollar im Monat waren fast alles, was wir hatten!«
    »Tut mir Leid. Wie bitte?«
    »Na schön, er ist nicht sehr schnell, aber immerhin gilt er als einer der besten Graveure weit und breit!«
»Oh… ja. Äh…« Plötzliche Schuldgefühle regten sich in William.
    »Und du hast sie weggenommen, einfach so!«
»Ich wollte es nicht! Die Zwerge… Es passierte irgendwie!« »Du arbeitest für sie?«
»In gewisser Weise… mit ihnen…«, sagte William.
»Während wir verhungern.«
Sacharissa blieb stehen und schnaufte. Sie verfügte über einen gut geformten Vorrat an anderen Merkmalen, die nie aus der Mode gerieten und sich in jedem Jahrhundert wohl fühlten. Ganz offensichtlich glaubte sie, dass strenge, altmodische Kleider einen dämpfenden Kontrast bewirkten, aber da irrte sie.
    »Ich hänge bei ihnen fest«, sagte William und versuchte, nicht zu starren. »Bei den Zwergen, meine ich. Lord Vetinari hat keinen Zweifel daran gelassen. Und plötzlich ist alles sehr kompliziert geworden…«
    »Die Graveursgilde dürfte sehr ungehalten sein«, meinte Sacharissa. »Äh… ja.« Eine jähe Idee schlug zu, noch heftiger als Sacharissas
    Hand. »Da hast du bestimmt Recht. Was hältst du davon, als ihre offizielle Sprecherin aufzutreten? In der Art von: ›Wir sind ungehalten‹, sagte ein Sprecher, äh, eine Sprecherin der Graveursgilde.«
    »Warum?«, fragte

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