Die volle Wahrheit
Das erfordert keine Facharbeit. Ich konzentriere mich mehr auf den ›Um-Hilfeschreien-Aspekt‹.«
William suchte an einer glatten Mauer nach Halt. »Und du erhoffst dir welche Art von Hilfe…?«
»Wie wär’s mit zwanzig Dollar?«
»Oder du springst?«
»Nun, ich springe nicht in dem Sinne. Ich meine, ich bringe nicht den ganzen Sprung hinter mich. Nicht unbedingt. Aber ich drohe weiterhin damit, in die Tiefe zu springen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Das Gebäude erschien William jetzt viel höher als auf dem Weg über die Treppe nach oben. Die Leute unten waren viel kleiner. Er erkannte einzelne nach oben blickende Gesichter. Der Stinkende Alte Ron befand sich unter den Schaulustigen, zusammen mit seinem räudigen Hund und dem Rest der Gruppe – improvisiertes Straßentheater übte eine geradezu unheimliche Anziehungskraft auf sie aus. William sah sogar Henry Hustens »Drohe für Nahrungsmittel«-Schild. Und er sah die langen Kolonnen aus Kutschen und Karren, die inzwischen halb Ankh-Morpork lahmlegten. Er fühlte, wie ihm die Knie weich wurden…
Arthur hielt ihn fest. »He, dies ist meine Stelle«, sagte er. »Such dir eine andere.«
»Du meintest eben, das Springen sei keine Facharbeit«, sagte William und versuchte, sich auf die Notizen zu konzentrieren, während die Welt um ihn herum langsam rotierte. »Was war deine Arbeit, Herr Spinner?«
»Ich bin Turmarbeiter.«
»Arthur Spinner, komm sofort da runter!«
Arthur blickte nach unten.
»Meine Güte, jemand hat meine Ehefrau geholt«, sagte er.
» Obergefreiter Fiddyment hier meint…« Das ferne rosarote Gesicht von Frau Spinner zögerte und hörte dem neben ihr stehenden Wächter zu. »… du störst das merkan-tile Wohlergehen der Stadt, du alter Narr!«
»Meine Frau duldet keine Widerrede«, sagte Arthur und richtete einen verlegenen Blick auf William.
»Muss ich dir noch einmal das Fell über die Ohren ziehen, du törichter alter Mann? Komm sofort runter, oder du erlebst was!«
»Drei glückliche Ehejahre«, sagte Arthur fröhlich und winkte der fernen Gestalt zu. »Die restlichen zweiunddreißig waren auch nicht direkt schlecht. Aber sie kriegt einfach kein schmackhaftes Kohlgericht hin.«
»Wirklich nicht?«, erwiderte William und neigte sich verträumt nach vorn.
Als er erwachte, lag er auf dem Boden, was ihn nicht überraschte. Aber sein Körper hatte noch immer eine dreidimensionale Form, und das erstaunte ihn. Er begriff, dass er nicht tot war. Zu dieser Erkenntnis verhalf ihm unter anderem der auf ihn herabblickende Wächter Korporal Nobbs. William glaubte, dass er ein relativ untadeliges Leben geführt hatte, deshalb rechnete er nicht damit, nach dem Tod ein Gesicht wie das von Korporal Nobbs zu sehen. Es galt als das Schlimmste, das jemals einer Uniform zugestoßen war, abgesehen von Möwen.
»Ah, du bist wieder bei Bewusstsein«, sagte Nobbs und wirkte ein wenig enttäuscht.
»Ich fühle mich… schwach«, murmelte William.
»Ich könnte es mit Mund-zu-Mund-Beatmung versuchen, wenn du willst«, schlug Nobbs vor.
Völlig unabhängig von Williams Willen verkrampften sich mehrere Muskeln und brachten ihn so plötzlich nach oben, dass seine Füße kurz den Bodenkontakt verloren.
»Es geht mir schon viel besser!«, rief er.
»Wir haben es im Wachhaus gelernt, und bisher hatte ich noch keine
Gelegenheit zu üben…«
»Bin kerngesund!«, heulte William.
»Ich hab’s an meiner eigenen Hand ausprobiert und so…« »Hab mich nie besser gefühlt!«
»Der alte Arthur Spinner versucht’s immer wieder«, sagte der Wächter. »Um sich Geld für Tabak zu besorgen. Wie dem auch sei. Alle haben geklatscht, als er dich nach unten getragen hat. Es ist erstaunlich, dass er noch immer so an Abflussrohren klettern kann.«
»Bin ich wirklich…«, begann William unsicher. Er fühlte sich sonderbar leer.
»Es war großartig, als du dich übergeben hast. Ich meine, in der Höhe von vier Stockwerken sah’s sehr interessant aus. Schade, dass niemand ein Bild aufgenommen hat…«
»Muss jetzt weg!«, stieß William hervor.
Offenbar verliere ich den Verstand, dachte er, als er in Richtung Schimmerstraße eilte. Auf was habe ich mich da nur eingelassen? Ich meine, solche Dinge gehen mich doch gar nichts an.
Aber vielleicht hat sich das inzwischen geändert…
Herr Tulpe rülpste. »Was machen wir jetzt?«, fragte er.
Herr Nadel hatte eine Karte der Stadt gekauft und betrachtete sie aufmerksam.
»Wir sind keine altmodischen
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