Die volle Wahrheit
breitete die Arme aus. »Was ist Legalität, Charlie? Nur
Worte auf Papier. Aber du stellst nichts Falsches an.«
Charlie nickte unsicher. »Aber zehntausend Dollar… Normalerweise
bekommt man nicht so viel Geld für etwas Richtiges. Zumindest nicht
dafür, nur ein paar Worte zu sagen.«
»Herr Tulpe hat einmal noch mehr Geld dafür bekommen, nur einige
wenige Worte zu sprechen, Charlie«, sagte Herr Nadel besänftigend.
»Ja, die Worte lauteten: ›Gib mir das …te Geld, wenn die Kleine nicht
dran glauben sol ‹«, warf Herr Tulpe ein.
»War das richtig ?«, fragte Charlie mit einem nach Herrn Nadels Meinung sehr ausgeprägten Todeswunsch.
»Absolut richtig, unter den gegebenen Umständen«, sagte Herr Nadel.
»Ja, aber es geschieht nicht oft, dass man so viel Geld verdient«, mein-
te der selbstmörderische Charlie. Er sah immer wieder zum überaus
kräftig gebauten Herrn Tulpe, der in der einen Hand eine Tüte hielt
und in der anderen einen Löffel. Mit diesem Löffel schaufelte er weißes
Pulver zur Nase, zum Mund und einmal sogar – wenn Charlie seinen
Augen trauen konnte – zum Ohr.
»Nun, du bist ein besonderer Mann, Charlie«, sagte Herr Nadel. »Und
anschließend lässt du dich für lange Zeit nicht blicken.«
»Ja«, brummte Herr Tulpe, das Gesicht halb hinter einer weißen Pul-
verwolke verborgen. Es roch plötzlich nach Mottenkugeln.
»Na schön, aber warum habt ihr mich dann entführt? Im einen Au-
genblick schloss ich für die Nacht ab, und im nächsten – Bamm! Und
ihr habt mich an die Wand gekettet.«
Herr Nadel beschloss, die Taktik zu ändern. Charlie stellte zu viele
Fragen für jemanden, der das Zimmer mit Herrn Tulpe teilte, noch
dazu mit einem Herrn Tulpe, der sich halb durch eine Tüte vol er Mot-
tenkugeln gearbeitet hatte. Er schenkte ihm ein breites, freundliches
Lächeln.
»Lassen wir die Vergangenheit ruhen, mein Freund«, sagte er. »Kon-
zentrieren wir uns lieber aufs Geschäftliche. Wir möchten nur einige
Tage deiner Zeit, und anschließend hast du nicht nur ein Vermögen,
sondern kannst es auch – und ich glaube, dies ist wichtig – ein Leben
lang genießen.«
Charlie erwies sich als sehr dumm.
»Aber woher wol t ihr wissen, dass ich niemandem davon erzähle?«,
fragte er.
Herr Nadel seufzte. »Wir vertrauen dir, Charlie.«
Der Mann hatte ein Bekleidungsgeschäft in Pseudopolis. Kleine La-
deninhaber mussten clever sein. Normalerweise waren sie ungewöhn-
lich schlau, wenn es darum ging, genau die richtige Menge an Wechsel-
geld einzubehalten. So viel zur Physiognomie, dachte Herr Nadel.
Selbst im Licht hätte man diesen Mann für den Patrizier halten können.
Aber während Lord Vetinari bereits über al e unangenehmen Möglich-
keiten nachgedacht hätte, die sich in naher Zukunft für ihn ergeben
mochten, glaubte Charlie tatsächlich, dass er diese Sache überleben und
Herrn Nadel überlisten konnte. Er versuchte doch tatsächlich, gerissen zu sein! Er saß nur wenige Meter von Herrn Tulpe entfernt, einem
Mann, der sich bemühte, Mottenkugeln zu schnupfen, und er hielt sich
für einen Schlaukopf. Dafür verdiente er fast Bewunderung.
»Am Freitag muss ich zurück sein«, sagte Charlie. »Bis Freitag ist doch
alles vorbei, oder?«
Der von den Zwergen gemietete Schuppen war in seinem wackeligen
Leben nicht nur eine Schmiede und eine Wäscherei gewesen, sondern
hatte auch ein Dutzend anderer Unternehmen beherbergt, darunter eine
Schaukelpferdfabrik, gegründet von jemandem, der Schaukelpferde für
die Kommende Große Sache hielt – obwohl sie unmittelbar davor
standen, zur Letzten Großen Sache zu werden.
An einer Wand reichten Stapel halb fertiger Schaukelpferde, die Herr
Käse nicht für die ausstehende Miete hatte verkaufen können, bis zur
Decke empor. Farbdosen rosteten in einem Regal. Pinsel klebten in
Gläsern fest.
Die Druckerpresse stand in der Mitte des Raumes, und mehrere
Zwerge waren bei der Arbeit. William kannte Pressen. Graveure be-
nutzten sie. Doch diese Presse hatte eine organische Qualität. Mit ihrer
Modifizierung verbrachten die Zwerge ebenso viel Zeit wie mit ihrem
Gebrauch. Zusätzliche Walzen erschienen, und weitere Riemen ver-
schwanden im geheimnisvollen Innern des Apparats. Mit jeder verstrei-
chenden Stunde wuchs die Presse.
Gutenhügel arbeitete an mehreren großen, schrägen Kästen, die in ei-
nige Dutzend Fächer unterteilt waren.
William beobachtete, wie die Hände des Zwergs
Weitere Kostenlose Bücher