Die volle Wahrheit
über die kleinen Fä-
cher mit den Buchstaben huschten.
»Warum ist das Fach für die Es größer?«
»Weil das der Buchstabe ist, den wir am meisten verwenden.«
»Liegt es deshalb in der Mitte des Kastens?«
»Ja. Erst Es, dann Ts und As…«
»Ich meine, die Leute würden glauben, dass das A in die Mitte ge-
hört.«
»Wir haben sie aber für die Es reserviert.«
»Aber ihr habt mehr Ns als Us. Und U ist ein Vokal.«
»Das N wird öfter gebraucht, als du glaubst.«
Auf der anderen Seite des Raums tanzten Caslongs dicke Zwergenfin-
ger über einen eigenen Kasten mit Typen.
»Man kann fast lesen, woran er arbeitet…«, begann William.
Gutenhügel sah auf und kniff kurz die Augen zusammen.
»›Verdiene… noch… mehr… Geld… in… deiner… freiigen… Zeit‹«,
sagte er. »Offenbar haben wir einen neuen Auftrag von Herrn Schnap-
per erhalten.«
William blickte erneut auf den Kasten mit den Buchstaben. Potentiell
enthielt ein Federkiel alles, was man damit schrieb. Mit solch einer Vor-
stel ung konnte er sich anfreunden. Aber er enthielt die zu schreibenden
Worte auf eine theoretische und sichere Art. Diese grauen Blöcke hingegen wirkten bedrohlich. William verstand, warum sie die Leute beunruhig-ten. Setzt uns auf die richtige Weise zusammen, schienen sie zu flüstern,
wir können al es sein, was ihr wol t. Wir könnten sogar zu etwas wer-
den, das ihr nicht wollt. Wir können jedes Wort bilden, auch das Wort
»Ärger«.
Die Ächtung von Drucktypen war nicht unbedingt ein Gesetz. Aber
William wusste, dass die Graveure nichts davon hielten, weil ihre Welt
wunschgemäß funktionierte. Es hieß, Lord Vetinari sei dagegen, weil zu
viele Worte die Leute unruhig machten. Und die Zauberer und Priester
sprachen sich dagegen aus, weil Worte wichtig waren.
Eine gravierte Seite war eine gravierte Seite, komplett und einzigartig.
Aber wenn man die bleiernen Drucktypen nahm, die vorher dazu ge-
dient hatten, die Worte eines Gottes zu Papier zu bringen, wenn man
sie nahm, um ein Kochbuch zu setzen… Was wurde dann aus der heili-
gen Weisheit? Und welche Konsequenzen ergaben sich für die Pastete?
Wenn man ein Buch mit Zauberformeln druckte und dann die gleichen
Typen für ein Buch über Navigation verwendete… Es ließ sich nicht
vorhersehen, wo die Reise enden würde.
Als hätte jemand das Stichwort gegeben – die Geschichte mag eine
gewisse Eleganz –, hörte William, wie eine Kutsche vor dem Schuppen
hielt. Wenige Sekunden später kam Lord Vetinari herein, blieb stehen,
stützte sich auf seinen Spazierstock und ließ einen Blick umherwandern,
der mildes Interesse zum Ausdruck brachte.
»Oh, Lord de Worde«, sagte er überrascht. »Ich wusste nicht, dass du
an diesem Unternehmen beteiligt bist…«
William errötete, als er zum Herrscher von Ankh-Morpork eilte. »Es
heißt Herr de Worde, Euer Exzel enz.«
»Ah, ja. Natürlich. In der Tat.« Lord Vetinaris Blick glitt erneut durch
den düsteren Raum, verharrte kurz bei einem Stapel wie irre grinsender
Schaukelpferde und kehrte dann zu den arbeitenden Zwergen zurück.
»Ja. Natürlich. Bist du für all das hier verantwortlich?«
»Es gibt keinen Chef, Euer Exzellenz«, sagte William. »Aber Herr Gu-
tenhügel dort drüben besorgt das meiste Reden.«
»Und was machst du hier?«
»Äh…« William zögerte, was beim Patrizier sicher keine gute Taktik
war. »Um ganz ehrlich zu sein, Herr… Hier ist es warm, bei mir zu
Hause ist es kalt und… Nun, ich finde es faszinierend. Ich weiß natür-
lich, dass es nicht…«
Lord Vetinari nickte und hob die Hand. »Sei so gut und bitte Herrn
Gutenhügel, zu mir zu kommen.«
William versuchte, dem Zwerg einige Ratschläge ins Ohr zu flüstern,
als er ihn zur hoch gewachsenen Gestalt des Patriziers führte.
»Ah, gut«, sagte Lord Vetinari. »Ich möchte dir die eine oder andere
Frage stellen, wenn du gestattest.«
Gutenhügel nickte.
»Zuerst einmal: Hat Herr Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper
irgendeinen geschäftlichen oder verwaltungstechnischen Einfluss auf
dieses Unternehmen?«
»Was?«, fragte William. Das hatte er nicht erwartet.
»Zwielichtiger Bursche, verkauft heiße Würstchen…«
»Oh, den meinst du. Nein. Diese Sache betrifft nur Zwerge.«
»Ich verstehe. Steht dieses Gebäude auf einem Riss in der Raum-Zeit?«
»Was?«, fragte Gunilla.
Der Patrizier seufzte. »Wenn man diese Stadt so lange regiert hat wie
ich«, sagte er, »weiß man
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