Die volle Wahrheit
sagte er.
» Obergefreiter Fiddyment hier meint…« Das ferne rosarote Gesicht von Frau Spinner zögerte und hörte dem neben ihr stehenden Wächter zu.
»… du störst das merkan-tile Wohlergehen der Stadt, du alter Narr!«
»Meine Frau duldet keine Widerrede«, sagte Arthur und richtete einen
verlegenen Blick auf William.
»Muss ich dir noch einmal das Fell über die Ohren ziehen, du törichter alter Mann? Komm sofort runter, oder du erlebst was!«
»Drei glückliche Ehejahre«, sagte Arthur fröhlich und winkte der fer-
nen Gestalt zu. »Die restlichen zweiunddreißig waren auch nicht direkt
schlecht. Aber sie kriegt einfach kein schmackhaftes Kohlgericht hin.«
»Wirklich nicht?«, erwiderte William und neigte sich verträumt nach
vorn.
Als er erwachte, lag er auf dem Boden, was ihn nicht überraschte. A-
ber sein Körper hatte noch immer eine dreidimensionale Form, und das
erstaunte ihn. Er begriff, dass er nicht tot war. Zu dieser Erkenntnis
verhalf ihm unter anderem der auf ihn herabblickende Wächter Korpo-
ral Nobbs. William glaubte, dass er ein relativ untadeliges Leben geführt
hatte, deshalb rechnete er nicht damit, nach dem Tod ein Gesicht wie
das von Korporal Nobbs zu sehen. Es galt als das Schlimmste, das je-
mals einer Uniform zugestoßen war, abgesehen von Möwen.
»Ah, du bist wieder bei Bewusstsein«, sagte Nobbs und wirkte ein
wenig enttäuscht.
»Ich fühle mich… schwach«, murmelte William.
»Ich könnte es mit Mund-zu-Mund-Beatmung versuchen, wenn du
willst«, schlug Nobbs vor.
Völlig unabhängig von Williams Willen verkrampften sich mehrere
Muskeln und brachten ihn so plötzlich nach oben, dass seine Füße kurz
den Bodenkontakt verloren.
»Es geht mir schon viel besser!«, rief er.
»Wir haben es im Wachhaus gelernt, und bisher hatte ich noch keine
Gelegenheit zu üben…«
»Bin kerngesund!«, heulte William.
»Ich hab’s an meiner eigenen Hand ausprobiert und so…«
»Hab mich nie besser gefühlt!«
»Der alte Arthur Spinner versucht’s immer wieder«, sagte der Wäch-
ter. »Um sich Geld für Tabak zu besorgen. Wie dem auch sei. Alle ha-
ben geklatscht, als er dich nach unten getragen hat. Es ist erstaunlich,
dass er noch immer so an Abflussrohren klettern kann.«
»Bin ich wirklich…«, begann William unsicher. Er fühlte sich sonder-
bar leer.
»Es war großartig, als du dich übergeben hast. Ich meine, in der Höhe
von vier Stockwerken sah’s sehr interessant aus. Schade, dass niemand
ein Bild aufgenommen hat…«
»Muss jetzt weg!«, stieß William hervor.
Offenbar verliere ich den Verstand, dachte er, als er in Richtung
Schimmerstraße eilte. Auf was habe ich mich da nur eingelassen? Ich
meine, solche Dinge gehen mich doch gar nichts an.
Aber vielleicht hat sich das inzwischen geändert…
Herr Tulpe rülpste. »Was machen wir jetzt?«, fragte er.
Herr Nadel hatte eine Karte der Stadt gekauft und betrachtete sie
aufmerksam.
»Wir sind keine altmodischen Schläger, Herr Tulpe. Wir sind denken-
de Männer. Wir lernen. Und wir lernen schnel .«
»Was machen wir jetzt?«, wiederholte Herr Tulpe. Früher oder später
würde er den Anschluss finden.
»Wir werden uns jetzt eine kleine Versicherung kaufen, das machen wir jetzt. Es gefällt mir gar nicht, dass der Anwalt all den Kram über
uns weiß. Ah… da sind wir. Die andere Seite der Universität.«
»Kaufen wir Magie?«, fragte Herr Tulpe.
»Nicht direkt Magie.«
»Du hast diese Stadt doch ein …tes Kinderspiel genannt.«
»Sie hat auch ihre guten Seiten, Herr Tulpe.«
Herr Tulpe lächelte. »Da hast du …t Recht. Ich möchte zum Museum
der Antiquitäten zurück.«
»Ich bitte dich, Herr Tulpe. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«,
sagte Herr Nadel.
»Ich möchte al e …ten Museen besuchen!«
»Später. Später. Kannst du zwanzig Minuten warten, ohne zu explo-
dieren?«
Die Karte führte sie zum Thaumatologischen Park, mittwärts der Un-
sichtbaren Universität. Der Park war noch immer so neu, dass die mo-
dernen, mit flachen Dächern ausgestatteten Gebäude, Gewinner meh-
rerer Preise der Architektengilde, noch nicht einmal damit begonnen hatten, Regenwasser hereinzulassen und bei etwas stärkerem Wind Fens-
terscheiben zu verlieren.
Man hatte versucht, die angrenzenden Bereiche mit Rasenflächen und
Bäumen zu verschönern, was jedoch nicht wie geplant funktionierte, da
die Häuser auf dem als »Mobilien« bekannten Gelände errichtet
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