Die volle Wahrheit
legte das Stück Pappe
auf die improvisierte Werkbank. »Dauerrnd unterrlaufen mirr irrgend-
welche Fehlerr.«
»Oh, aber ich…«
»Herr de Worde, da etwas passiert ist!«
Die laute Stimme gehörte Rocky, der die Fal tür verfinsterte.
»Was denn?«
»Etwas beim Palast. Jemand getötet worden ist!«
William sprang die Leiter hoch. Sacharissa saß an ihrem Schreibtisch
und war sehr blass.
»Hat jemand Vetinari ermordet?«, fragte William.
»Äh, nein«, antwortete Sacharissa. »Nicht… direkt.«
Unten im Keller griff Otto Chriek noch einmal nach der Dunkellicht-
Ikonographie. Mit einem langen, blassen Finger kratzte er darauf, als
wol te er etwas entfernen.
»Seltsam…«, sagte er.
Der Kobold hatte es sich nicht eingebildet, daran bestand kein Zwei-
fel. Kobolden fehlte jede Phantasie. Sie konnten nicht lügen.
Argwöhnisch sah er sich im leeren Kel er um.
»Ist hierr jemand?«, fragte er. »Spielt jemand Dummerr Dussel mit
mirr?«
Dunkles Licht. Meine Güte. Es gab viele Theorien über dunkles
Licht…
»Otto!«
Er sah auf und steckte das Bild in die Tasche.
»Ja, Herrr William?«
»Nimm deine Sachen und komm mit! Lord Vetinari hat jemanden
ermordet! Äh, angeblich«, fügte William hinzu. »Und es kann unmög-
lich wahr sein.«
Manchmal glaubte Wil iam, dass die Bevölkerung von Ankh-Morpork
ständig darauf wartete, zu einer großen Menge zu werden. Die meiste
Zeit über war sie dünn über die ganze Stadt verteilt, wie eine Art Rie-
senamöbe. Doch wenn irgendwo etwas geschah, zog sie sich an der
betreffenden Stelle zusammen, wie eine Zelle an einem Nahrungsstück.
Dann fül ten sich die Straßen mit Leuten.
Die Menge wuchs am Haupttor des Palasts. Wie durch Zufall fand sie
sich dort ein. Eine Ansammlung von Personen lockte weitere Personen
an, wodurch eine größere Ansammlung entstand. Karren und Sänften
verharrten, um herauszufinden, was vor sich ging. Die Menge schwoll
immer mehr an.
Am Tor standen keine Palastgardisten, sondern Angehörige der Wa-
che. Das ergab ein Problem. Die Anfrage »Lasst mich durch, ich bin
neugierig« hatte kaum Aussichten auf Erfolg. Es mangelte ihr an Auto-
rität.
»Warrum halten wirr an?«, fragte Otto.
»Feldwebel Detritus steht am Tor«, sagte William.
»Ah. Ein Trroll. Sehrr dumm«, meinte Otto.
»Aber nur schwer zu überlisten. Ich fürchte, wir müssen es mit der
Wahrheit versuchen.«
»Wieso?«
»Er ist Polizist. Die Wahrheit verwirrt sie meistens. Weil sie nicht dar-
an gewöhnt sind, sie zu hören.«
Der große Trol beobachtete reglos, wie sie sich näherten. Er zeigte
den typischen Polizistenblick, der nichts preisgab und verkündete: Ich
sehe dich und warte darauf, dass du gegen irgendein Gesetz verstößt.
»Guten Morgen, Feldwebel«, sagte William.
Das Nicken des Trol s wies auf Folgendes hin: Das vorhandene Be-
weismaterial ließ vermuten, dass es Morgen war, und unter gewissen
Umständen mochte es für manche Personen ein guter sein.
»Ich muss dringend Kommandeur Mumm sprechen.«
»Oh, ja?«
»Ja, tatsächlich.«
»Und er dich ebenfal s dringend sprechen müssen?« Der Trol beugte
sich etwas näher. »Du Herr de Worde bist, nicht wahr?«
»Ja. Ich arbeite für die Times .«
»Ich das nicht lese«, sagte der Troll.
»Wirklich nicht? Wir bringen dir eine extra groß gedruckte Ausgabe«,
bot William an.
»Das sehr lustig war«, erwiderte Detritus. »Aber so dumm ich auch
sein mögen: Ich auf dieser Seite des Tors stehe und dir sage, dass du auf
der anderen bleibst… He, was der Vampir da macht?«
»Bitte nicht bewegen«, sagte Otto.
WOOMPF.
»Verrdammtverrdammtverrdammt…«
Detritus beobachtete, wie Otto auf dem Kopfsteinpflaster hin und
her rollte.
»Was das zu bedeuten hat?«, fragte er nach einer Weile.
»Er hat ein Bild von dir aufgenommen«, erklärte William. »Es zeigt,
wie du mich nicht in den Palast lässt.«
Detritus war über der Schneegrenze eines fernen Bergs geboren und
hatte den ersten Menschen erst als Fünfjähriger gesehen. Aber er war
auch Polizist, bis in die rissigen, oft über den Boden kratzenden Finger,
und er reagierte entsprechend.
»Das er nicht darf«, sagte er.
William holte sein Notizbuch hervor und hielt den Stift bereit.
»Könntest du meinen Lesern mitteilen, warum er das nicht darf?«, frag-
te er.
Detritus sah sich um und wirkte ein wenig besorgt. »Wo sie sind?«
»Nein, ich meine, ich schreibe auf, was du sagst.«
Elementares
Weitere Kostenlose Bücher