Die volle Wahrheit
ihnen dämmerte inzwischen, dass sie von
anderen Leuten nur dann als Vampire akzeptiert wurden, wenn sie auf-
hörten, Vampire zu sein. Das war ein hoher Preis für gesel schaftliche Akzeptanz. Aber es gab einen noch höheren, und bei diesem schlug
man Vampiren den Kopf ab und streute ihre Asche in den Fluss. Ein
Leben auf der Grundlage von Steak tartare war gar nicht so übel, vergli-chen mit dem Tod durch einen Pflock au naturel .*
»Äh, ich glaube, wir würden gern sehen, wen wir einstel en«, sagte
William laut.
Otto trat langsam und nervös hinter dem Ikonographen hervor. Er
war dünn, blass und trug eine dunkle Brille mit kleinen ovalen Gläsern.
Das kleine schwarze Band hielt er noch immer so, als sei es ein Talis-
man, was vermutlich auch stimmte.
»Du brauchst keine Angst zu haben, wir beißen dich nicht«, sagte Sa-
charissa.
»Und eine Hand wäscht die andere, nicht wahr?«, meinte Gutenhügel.
»Das war geschmacklos, Herr Gutenhügel«, sagte Sacharissa.
»Na und!« Der Zwerg wandte sich wieder dem Stein zu. »Die Leute
sol en ruhig wissen, welchen Standpunkt ich vertrete.«
»Ihrr werrdet es nicht berreuen«, sagte Otto. »Ich habe überrhaupt
nichts mehrr mit dem B-Worrt zu tun, das verrsicherre ich euch. Wo-
von soll ich Bilderr aufnehmen?«
»Von Nachrichten«, antwortete William.
»Was sind Nachrrichten?«
»Nachrichten sind…« William überlegte kurz. »Nachrichten sind das,
was wir in der Zeitung bringen…«
»Was haltet ihr hiervon, eh?«, ertönte eine fröhliche Stimme.
* Wer rohes Steak aus einem Schlachthaus von Ankh-Morpork verspeiste,
begann damit ein von Gefahren und Aufregung geprägtes Leben, das selbst
die abenteuerlichste Seele zufrieden stellte.
William drehte sich um. Ein schrecklich vertrautes Gesicht sah ihn
über einen Karton hinweg an.
»Hallo, Herr Wintler«, sagte er. »Äh, Sacharissa, vielleicht solltest du
jetzt besser gehen und…«
Er war nicht schnel genug. Herr Wintler gehörte zu den besonderen
Leuten, die ein Quietschkissen für lustig halten, und allein von einem
frostigen Empfang ließ er sich nicht entmutigen. »Heute Morgen habe
ich in meinem Garten gegraben und dabei diese Pastinake gefunden,
und ich dachte: Der junge Mann von der Zeitung lacht sich dumm und
dösig, wenn er das sieht. Meine Frau konnte nicht ernst bleiben, und…«
Zu Wil iams Entsetzen griff der Mann bereits in den Karton. »Herr
Wintler, ich glaube, du solltest besser…«
Im Karton kratzte etwas, als die Hand nach oben kam. »Ich wette, die
junge Frau hier lacht gern, eh?«
William schloss die Augen.
Er hörte, wie Sacharissa nach Luft schnappte. Dann sagte sie: »Meine
Güte, das ist geradezu verblüffend lebensecht!«
William öffnete die Augen. »Oh, es ist eine Nase «, sagte er. »Eine Pastinake mit einem knubbeligen Gesicht und einer großen Nase !«
»Soll ich ein Bild davon anferrtigen?«, fragte Otto.
»Ja!«, erwiderte William voller Erleichterung. »Nimm ein Bild von
Herrn Wintler und seiner wundervollen Nasen-Pastinake auf, Otto!
Dein erster Auftrag! Ja, nur zu!«
Herr Wintler strahlte. »Soll ich schnell die Karotte holen?«
»Nein!«, sagten Wil iam und Gutenhügel wie aus einem Mund.
»Möchtet ihrr das Bild jetzt soforrt?«, fragte Otto.
»Und ob!«, entgegnete William. »Je schneller wir unseren Herrn Wint-
ler nach Hause schicken können, desto eher bekommt er Gelegenheit,
noch ein lustig geformtes Stück Gemüse zu finden. Was steht uns als Nächstes bevor? Eine Bohne mit Ohren? Eine Rübe in der Form einer
Kartoffel? Viel eicht ein Rosenkohl mit einer großen haarigen Zunge?«
»Ihrr möchtet, dass ich das Bild jetzt soforrt anferrtige, hierr auf derr
Stelle?«, fragte Otto. Besorgnis haftete an jeder Silbe.
»Ja, jetzt sofort!«
»Nun, es gibt da eine Kohlrübe, in die ich große Hoffnungen set-
ze…«, begann Herr Wintler.
»Na schön… wenn du bitte hierrherr sehen würrdest, Herrr Wint-
lerr«, sagte Otto. Er beugte sich hinter den Ikonographen und nahm die
Abdeckung von der Linse. William beobachtete, wie der Kobold im
Kasten nach seinem Pinsel griff und durch die Öffnung blickte. Mit der
freien Hand hob Otto langsam eine Stange mit einem Käfig, in dem ein
dicker Salamander döste. Ein Finger verharrte auf dem Auslöser, der
einen kleinen Hammer auf den Kopf des Tiers herabfal en ließ, gerade
fest genug, um es zu verärgern.
»Bitte rrecht frreundlich!«
»Moment mal«, sagte Sacharissa.
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