Die vollkommene Lady
Madame!“
schloß die Alte großartig.
Julia blieb in der Mitte des Raumes
stehen und sah sich um. Es war ein Zimmer, wie sie noch nie eines gesehen hatte
— groß, viereckig, mit weißen Wänden und leeren Borden und zwei offenen
Fenstern im Sonnenschein. Man blickte auf die Pinien und einen blauen Hügel. In
einem Alkoven zwischen zwei Wandschränken stand das weiße Bett. Sonst gab es da
noch einen winzigen Toilettentisch, der hinter einem riesigen Rosenstrauch fast
verschwand, zwei Stühle und einen anderen Tisch in der Fensternische, auf dem
ein Teebrett mit einem Frühstück stand, und noch mehr Blumen.
Es ist etwas kahl, dachte Julia, aber
es ist wunderbar viel Platz. Und nachdem sie den größeren der beiden Handkoffer
aufgeschlossen hatte, leerte sie ihn auf dem Bett aus. Ihr Morgenrock lag
zuunterst, aber sie zog ihn hervor und öffnete den anderen Koffer, um ihren
Schwammbeutel herauszunehmen. Dann nahm sie die Rosen von dem Tischchen, um
Platz für ihre Toilettesachen zu schaffen. Als ihr Bad fertig war, sah der
Raum, nachdem sie nur zehn Minuten lang darin gewirkt hatte, so vollständig verändert
aus, daß es sogar Julia auffiel.
Ich muß ordentlich sein, ermahnte sie
sich energisch. Eine Lady ist ordentlich. Sie besaß besondere Hüllen für ihre
Schuhe, besondere Kästen für ihre Handschuhe und Leinenbeutel mit der
Aufschrift „Wäsche“ für ihre schmutzigen Blusen. Julia würde sich diese Dinge
auch angeschafft haben, wenn ihre Geldverhältnisse es erlaubt hätten. Da dies
aber nicht der Fall war, schien es zwecklos, sich über solche Einzelheiten
Gedanken zu machen.
Wie immer kam es ihr nur darauf an,
einen allgemeinen Eindruck von Ordnung hervorzurufen, und dies erreichte sie
nun dadurch, daß sie ihre ganzen Sachen in einen Schrank warf und die Tür
abschloß.
Wären nicht die Rosen auf dem Fußboden
gewesen und der Strumpf auf der Fensterbank — und einige Schuhe unter dem Tisch
und die Puderdose zwischen dem Frühstücksgeschirr — man würde niemals gewußt
haben, daß Julia das Zimmer überhaupt betreten hatte.
*
Und jetzt, als sie triumphierend in der
französischen Badewanne lag, war gewiß der Augenblick für die Marseillaise
gekommen. Aber nicht ein einziger Ton drang aus Julias Kehle. Sie war etwas
müde von der Reise und etwas sentimental im Gedanken an Fred. Aber der
Hauptgrund für ihr Schweigen war, daß sie sozusagen noch nicht vorgestellt
worden war. Sie kam sich komisch genug vor, hier so splitternackt im Wasser zu
liegen, ohne wenigstens die Dame des Hauses begrüßt zu haben. Was würde Susan
davon denken, wenn ihre Mutter nach solch wohlüberlegtem Plan für ihr erstes
Zusammentreffen ihre Anwesenheit vorzeitig durch einen Gesang aus der Badewanne
kundtäte? Und da Plantschen beinahe ebenso schlimm sein würde, bewegte sich
Julia äußerst behutsam, nahezu ängstlich. Vorsichtig wusch sie sich ihren
Rücken und tauchte nur ganz allmählich unter, damit nicht ein einziger Tropfen
überschwappte. Sie ertappte sich tatsächlich dabei, daß sie so tat, als ob sie
überhaupt nicht vorhanden wäre; und wenn sie ihre Augen schloß, war diese
Vorstellung bemerkenswert vollständig. Selbst das Wasser, unparfümiert und
unbeweglich, fühlte sich nicht wie Wasser an. Es war nur eine warme Atmosphäre,
die ihr körperloses Ich umhüllte, ebenso unwirklich wie alles andere...
„Hallo!“ rief Julia, plötzlich
irgendwie beunruhigt. „Ich darf um Gottes willen nicht einschlafen!“
Der Klang ihrer eigenen Stimme rüttelte
sie wach. Sie setzte sich sofort auf und lauschte gespannt, um sich zu
vergewissern, ob irgendwer anderer sie auch gehört hatte. Aber es war alles
still, und mit einem Seufzer der Erleichterung stieg sie behutsam aus der Wanne
und begann sich abzutrocknen. Es hingen zwei Badetücher da, wunderschön groß
und weiß, außerdem noch ein kleineres, glattes Handtuch mit bestickter Kante.
Und obwohl es unmöglich war, sie alle auf einmal zu benutzen, tat Julia ihr
Bestes und trocknete sich so gründlich ab, daß sie das Mädchen über den
Korridor schlurfen und ihre Zimmertür öffnen und schließen hörte, während sie
immer noch damit beschäftigt war, ihre Hüften abzurubbeln.
Das ist mein Frühstück, dachte Julia;
und aus lauter Besorgtheit, ja rechtzeitig am richtigen Ort zu sein — ein
weiteres Zeichen von Selbstüberwindung —, nahm sie ihre Sachen um und lief
schnell in ihr Zimmer zurück. Es war niemand drin, aber auf dem
Weitere Kostenlose Bücher