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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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und Brot in Stubenarrest zu finden, wie?“
    „Ich dachte, sie wäre schlimmer dran“,
gab Julia zu. „Statt dessen schlachte ich den beiden zweimal täglich ein
gemästetes Kalb. Das wirst du schon beim Essen sehen. Vor allem wirst du ihn
sehen. Susan hat mir das Versprechen abgenommen, nicht über ihn zu sprechen,
bevor ihr euch kennengelernt habt, um dich nicht zu beeinflussen. Aber du
weißt, daß ich gegen eine Heirat bin, weil sie dir das in ihrem Brief
mitgeteilt haben muß. Stimmt’s?“
    „Ja“, sagte Julia, „aber sie schrieb
nicht, warum.“
    Mrs. Packett sah sie ungläubig an.
    „Nur, weil sie zu jung ist. Persönlich
habe ich gar nichts gegen Bryan. Aber kein Mädchen sollte schon mit zwanzig
heiraten.“
    „Gegen eine Verlobung hast du also
nichts einzuwenden?“
    „Doch, das habe ich, aber nur, bevor
Susan einundzwanzig ist. Wenn sie damit bis zum nächsten Jahr warten wollen und
erst heiraten, wenn Susan dreiundzwanzig ist, habe ich überhaupt nichts
dagegen.“
    Das zeigte die Angelegenheit von einer
neuen Seite und stimmte Julia nachdenklich. Susans Geburtstag war im März — bis
dahin waren es nur noch acht Monate — und nach einer offiziellen Verlobung ließ
sich die Wartezeit vermutlich doch abkürzen. Weshalb wollte also Susan nicht
warten? Warum hatte sie sich dann zu dem verzweifelten Schritt entschlossen,
ihre Mutter aus London herzubitten? Der Grund für ihre Ungeduld konnte
unmöglich Leidenschaft sein — darauf hätte Julia schwören können. Auch war
Susan gegenwärtig keinerlei Unannehmlichkeiten ausgesetzt, die den Wunsch nach
einer beschleunigten Heirat erklärt haben würden. Also warum nur?
    „Ich kann es nicht begreifen“, sagte
Mrs. Packett, ihre Gedanken erratend. „Sie fühlt sich in Girton äußerst wohl
und ist sehr glücklich dort. Noch zwei Jahre in Girton und eins für die
Aussteuer sollten ihr eigentlich nicht so lang vorkommen. Anfangs war sie auch
ganz damit einverstanden; erst in den letzten Wochen ist sie so — so
eigensinnig geworden.“
    „Und der junge Mann“, fragte Julia, „will
er denn auch warten?“
    „Wenn er es auch wollte, meine Liebe,
dürfte er es kaum sagen, da Susan schon im nächsten Monat heiraten möchte.“
Mrs. Packett seufzte. „Vielleicht bin ich selbstsüchtig. Vielleicht möchte ich,
wenn ich sage, daß sie noch ihre Mädchenzeit genießen soll, sie eigentlich noch
etwas für mich behalten. Du weißt, meine Liebe, daß wir dir immer sehr dankbar
gewesen sind?“
    Julia fühlte sich unbehaglich. Was war
es doch für eine sonderbare Familie, die immer von Tugenden sprach, wo gar
keine Rede davon sein konnte!
    „Ich habe euch zu danken“, sagte sie
fast unfreundlich. „Nachdem ich Susan jetzt wiedergesehen habe, weiß ich, daß
ich euch nie das hätte sein können, was sie euch war. Sie ist viel mehr nach
ihrem Vater geschlagen als nach mir — und sie ist ein so guter Kerl.“
    Die alte Dame warf ihr plötzlich einen
so schlauen Blick zu, daß Julia ganz überrascht war. Todsicher hatte sie es
damals nicht gewollt, daß Susan allein zu mir kam! dachte sie. Und im Grunde
hatte sie auch ganz recht damit: es gibt eben Menschen, die besser nichts
miteinander zu tun haben, so nahe sie auch verwandt sein mögen; das geistige
Band ist oft stärker als Blutsbande, und in geistiger Beziehung war Susan eine
reine Packett. Julias Geist — falls ich überhaupt was davon habe, dachte sie
plötzlich, wenn man mich fragt, ich habe bloß Triebe.
    Mrs. Packett streckte ihre hagere, alte
Hand aus und legte sie einen Augenblick auf Julias weiche volle Hand.
    „Du bist die Frau meines Jungen, und
ich freue mich sehr, daß du hier bist. Bleib nur so lange bei uns, wie du
magst.“
    „Ich will immer bei euch bleiben!“ rief
Julia ungestüm aus; aber sie waren beide klug genug, um diesen
Gefühlsüberschwang nicht für bare Münze zu nehmen.
     
     
     

8
     
    D as Eßzimmer der Villa war ein kleiner,
quadratischer Raum, der fast immer im Dunkeln lag, weil die tieferen Zweige der
großen Jasminbüsche so dicht vor dem französischen Fenster herunterhingen, daß
sie wie eine Markise wirkten. Das Licht, das durch das Laub hindurchdrang, war
eher grün als golden, und Julia, die von der hellen Terrasse ins Zimmer
hineinsah, konnte zunächst nichts anderes wahrnehmen als den runden Tisch mit
dem weißen Tuch darüber. Sie hatte da eigentlich nichts zu suchen, aber sie war
hungrig und wollte sich vergewissern, ob es bald etwas zu essen gäbe.

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