Die vollkommene Lady
unterbrach Sir
William sie schnell.
„...Vorbringen kannst, bin ich
natürlich bereit, ihn mir anzuhören. Ich habe auch Großmutter und Julia
angehört. Ich bin gar nicht unvernünftig.“
„Ich finde es die Höhe der Unvernunft“,
erklärte Sir William, „eine Frage, die man sich schon längst beantwortet hat,
immer wieder erörtern zu wollen. Es ist nur ein Zeitverlust für alle
Beteiligten.“
Susan schwieg. Sie war ein viel zu
kühler Kopf, um nicht Sir William recht zu geben, aber Logik war ihr jetzt zum
ersten Male unbequem. Sooft sie bisher an ihre Heirat dachte, hatte sie das
Empfinden gehabt, sie liege noch fern hinter einem Hindernis — einem Hindernis,
das nur durch längere, ernste Gespräche mit Sir William genommen werden konnte.
Aber das erste Gespräch war auch das letzte geworden, und es war gar kein
Gespräch gewesen. Sir William hatte das Hindernis für sie weggeräumt — und die
Heirat war in nächste Nähe gerückt. Wenn Sir William sie unterstützte oder doch
wenigstens nicht auf der Seite der Gegner stand, konnte sie Bryan Relton
heiraten, sobald sie mündig wurde.
Susan hatte ihrem Vormund nichts mehr
zu sagen.
*
Hoch oben auf der Terrasse unter dem
Wein lag Bryan Relton auf dem Rücken und starrte in den Himmel. Er war, wie
Julia, recht gedankenvoll vom Teetisch aufgestanden; aber seine augenblickliche
bequeme Lage ließ ihn seine Sorgen vergessen.
Schwer waren sie ohnehin nicht gewesen;
eher wie die Wolken dort oben — klein und noch weit von der Sonne entfernt. Die
wesentlichste betraf Susans neue Geschäftigkeit. Er war schon sehr müde
geworden, ewig von Umkleideräumen reden zu müssen; wenn das eine Gewohnheit
werden sollte...
Er drehte sich um — die Wolken waren
doch größer, als er zuerst gedacht hatte — und griff nach einem Grashalm. Es
war zwar nicht die beste Sorte zum Kauen, aber das fast sinnliche Vergnügen,
den Halm langsam aus der Scheide zu ziehen, nahm ihn einen Augenblick lang ganz
gefangen. Er drückte sein Gesicht ins Gras und schnupperte eifrig wie ein
junger Hund. Süßer Geruch von trockener Erde, süßerer noch von Klee! Er hob den
Kopf und ließ sich die kühle Brise in das Gesicht wehen — und dann wieder
hinunter zur warmen Erde und in den süßen Klee. Ein wahres Epikureertum der
Nase! Seine Gedanken schweiften weiter: Kartoffelfeuer, in der Sonne
schwitzendes, geteertes Deck, gebratener Speck zum Frühstück und sogar die
heißen Benzindünste um Piccadilly Circus an einem Sommernachmittag. Alles das
war schön — die ganze Welt war voller Schönheit! Man hatte einfach nicht Zeit
genug, um allem gerecht zu werden — alle Gerüche zu riechen, alles zu sehen,
was sehenswert war, alles Hörbare zu hören, alles zu beachten, was beachtet
werden wollte. Wirklich alles zu genießen, dachte Bryan, ist eine schwere
Ganztagsbeschäftigung; wie er da so lag und vor sich hinträumte, mußte er dem
großen Dichter der Aera Victoria recht geben, Kipling hatte sein
Glaubensbekenntnis unübertrefflich ausgedrückt: Nur um zu bewundern, nur um zu
schauen! Und wie hieß doch der andere Kerl, der immer über den Ozean hinblickte...
Das wär’ ein Witz, wenn ich Dichter würde, dachte Bryan. Aber er machte sich
keine falschen Vorstellungen von sich selbst, er kannte sich gut. Er konnte
nicht schaffen. Er würde sein Leben lang nichts Brauchbares fertigbringen, aber
er war doch wenigstens dankbar.
Es fiel ihm plötzlich ein, daß er bei
seinen Plänen und Gedanken Susan vergessen hatte. Beim Gedanken jetzt an sie,
und vor allem bei dem Gedanken an ihren Spaziergang von Belley damals, regte
sich sein Gewissen wieder. Er hatte ihr versprochen — was hatte er nicht alles
versprochen: Fleiß, Nüchternheit, jede menschliche Tugend! Unmögliche
Versprechungen — sie wußte doch hoffentlich, daß man von solchen Versprechungen
den jeweiligen Gefühlsüberschwang in Abzug bringen mußte! Sie weiß doch, wie
ich bin; sie wird keine Wunder von mir erwarten! Er tauchte sein Gesicht wieder
ins Gras, atmete den Duft ein und wünschte, sie läge neben ihm. Dunkel empfand
er die Überzeugung, daß er Susan schon auf den richtigen Pfad bringen könnte,
wenn sie nur erst einmal die Kraft dieses warmen Erdgeruchs spüren würde.
Er war auf der Jagd, aber nicht einen
Schritt war er seiner Beute nähergekommen.
„Himmlische Susan, liebe Susan“, sagte
Bryan zum Gras. Die Halme streichelten seine Lippen; aber er fühlte ihre
federnde Liebkosung nicht mehr, er
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