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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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nicht anders
ausgefallen sein würde, wenn sie sich auf seine Frage härte vorbereiten können,
erfüllte sie mit einem melancholischen Stolz. Sir William heiraten, hieße ihr
letztes Argument gegen Susans Heirat mit Bryan zunichte machen. Was für einen
Wert würde denn der Versuch haben, Bryan die Sinnlosigkeit seines Vorhabens
darzutun, wenn ihre eigene Handlungsweise jedes ihrer Worte widerlegte! An
diesem Nachmittag hatte sie zum ersten Male das Gefühl gehabt, Eindruck auf ihn
gemacht zu haben; wieviel stärker würde der werden, wenn er erfuhr, was sie
getan hatte! Er mußte es erfahren, obgleich das bedeutete, daß sie Sir William
um Erlaubnis bitten mußte — und dagegen war alles bisher leicht und einfach
gewesen.
    Wenn ich bloß fort könnte, dachte Julia
ganz verzweifelt. Wenn ich das Ganze hinter mir lassen könnte! Sie wagte kaum
an das schreckliche Morgen zu denken, wenn sie ihm wieder begegnen mußte, als
sei nichts geschehen. Als einzige Hoffnung blieb ihr — und sie betete darum —,
daß Sir William gleich ihr es vorzog, alles, was von dem Augenblick an
geschehen war, an dem sie ihm im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme fiel,
als nicht geschehen und vergessen zu betrachten. Nicht, daß sie es wirklich
vergessen konnte — nie würde sie es vergessen. Ihr ganzes Leben wollte sie sich
an der Erinnerung erwärmen; aber sie würde doch so tun, als habe sie vergessen.
Leise, zart, aber unerbittlich würde sie sich ihm allmählich entziehen,
zurückhaltender werden, und wenn sie voneinander schieden, würden sie sich als
gute Freunde trennen...
    „Wahrscheinlich dankt er jetzt schon
dem Himmel für seine Rettung“, sagte Julia laut.
    Sie drückte ihre Hand fest gegen ihr
Herz — es fühlte sich merkwürdig dort drinnen an, so schwer, so schmerzlich.
Aufopferung und Entsagung machten sich auf der Bühne ja recht gut — aber im
wirklichen Leben, und noch dazu ohne Publikum, konnte man daraus nicht viel
Vergnügen holen.
    Julia stand auf und begann sich
automatisch die Haare zurechtzumachen. Es wunderte sie, daß das Gesicht dort im
Spiegel sich gar nicht verändert hatte. Viel zu rund, dachte Julia gelassen.
Ich tauge nicht für tragische Rollen. Sie betrachtete sich noch kritisch, als
es klopfte und Susan eintrat.
    „Wie geht es dir jetzt?“ fragte sie. „Ich
dachte, du hättest dich schon hingelegt.“
     
    *
     
     „Nein“, sagte Julia und fühlte sich
ertappt. „Nein, noch nicht. Ich glaube, es hat sich etwas abgekühlt.“
    „Ja, ein wenig“, bestätigte Susan. „Es
ist sogar eine leichte Brise draußen. Onkel William meint, ob dir nicht eine
kurze Spazierfahrt ganz gut tun würde.“
    Julia fuhr innerlich zusammen. Diese
Frontalattacke hatte sie nicht voraussehen können, sie mußte sie unter allen
Umständen abwehren. „Sag’ ihm, es wäre sehr nett von ihm“, sagte sie schnell, „aber
ich glaube, ich bleibe lieber hier und halte mich ruhig. Ich werde gleich zu
Bett gehen.“
    Susan lächelte ermunternd wie eine
erfahrene Krankenschwester. „Wenn du dich vielleicht dazu zwingen könntest? Du
wirst dich bestimmt wohler danach fühlen.“ Ihr Blick fiel auf den Suppenteller,
den Julia trotz ihrer inneren Kämpfe, mit Hilfe eines Stückes Brot, blitzblank
gegessen hatte. „Im Wagen wirst du es kühler und luftiger haben als hier oben.“
    „Es ist ja ein geschlossener“, sagte
Julia und begab sich damit auf das gefährliche Glatteis des Argumentierens.
    „Du kannst ja die Fenster aufmachen und
auch das Dach. Du kannst ganz ruhig und ungestört im Rücksitz für dich allein
sein.“ Susan lächelte wieder.
    Julia fühlte sich bei ihrem Anblick
tatsächlich beinahe krank und glaubte schon den Äthergeruch zu verspüren. Sie
bezog eine neue Verteidigungsstellung. „Weißt du, ich möchte Sir William
wirklich nicht die Mühe machen —“
    „Ach so“, sagte Susan, „ich wunderte
mich schon, warum du nicht wolltest. Es ist aber gar keine Mühe, Onkel William
hat den Wagen schon vorgefahren!“
    Fünf Minuten danach wurde Julia
zärtlich und umsichtig ihrem Entführer abgeliefert. Der Wagen war so weit geöffnet,
wie es seine Natur zuließ, ein paar Decken lagen bereit für den Fall, daß es zu
kühl werden sollte, und ein Papierfächer, von Anthelmine gestiftet, falls es
Julia im Gegenteil zu warm werden würde.
    „Vorn oder hinten?“ fragte Susan,
während Bryan ritterlich hinzusprang und die Tür aufhielt.
    Sir William wandte sich um und sah
Julia ruhig ins

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