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Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Titel: Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ror Wolf
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Elektrizitätswerk vorbei und weiter, Koksfabrik, Keksfabrik, Malzfabrik und an vielen anderen Fabriken vorbei, so änderte sich mein Leben, Amtsgericht, Handelskammer, Brausebad, Tanzpalast, Schloßplatz, Heimatmuseum, Stadttheater, ich mußte hinter ihm herziehen und ein anderes Leben beginnen.
    Am 3. April, als ich ihm im Palasthotel gegenübersaß, während draußen der Regen schwer herabfloß, glaubte ich, der Augenblick sei so gewaltig, daß er niemals zu überbieten wäre. Mir fiel auf, daß ich einen Brief in der Hand hielt und soeben gelesen hatte. Wie geht es weiter, fragte man mich. Keine Ahnung, sagte ich, ich weiß es nicht.
    Ich hatte schon lange so gesessen, da schlug mir ein Mann auf die Schulter. Es war Doktor Q. Ich erhob mich, setzte mich aber wieder. Ich saß damals im Bahnhofsrestaurant und habe vergessen, was ich in diesem Moment dachte. Machen Sie sich keine Sorgen, sagte Doktor Q.

    Und wie geht es weiter, fragte man mich, was haben Sie vor? Was habe ich vor. Ich weiß nicht, ich glaube nichts von Bedeutung. Vielleicht ließ ich mir einen Anzug anfertigen, den ich freilich kurze Zeit später in einem Pfandhaus versetzte. Danach hielt ich es für angebracht, das Fenster zu schließen. Ich kaufte ein Sofa, damit ich mich hinlegen konnte. Wenn man sich einfach hineinlegen kann ins Leben, dann ist es weich, schrieb ich. Damals genoß ich die Vorzüge dieses Zustands. Ich legte mich einfach ins Leben hinein und blieb eine Weile liegen. Als ich erwachte, spürte ich etwas Fremdes auf mir, etwas Nacktes und Kaltes, und als ich es abschütteln wollte, bemerkte ich, daß es eine Frau war, die auf mir saß, sie hatte die Hände auf meine Schultern gepreßt. Ich sah ihre Arme und Beine und sah das Gesicht mit den geschlossenen Augen und einen tiefen geöffneten Mund. Draußen gingen die Türen, ich hörte Schritte, also kam jemand, oder jemand ging fort. Jemand ging, öffnete eine Tür und verschwand. Das war im April, Ende April.



A nfang Mai gab es nicht viel, worüber ich nachdachte. Ich wußte nur, daß ich mich von geöffneten Gegenständen fern zu halten hatte, um nicht von ihnen verschluckt zu werden, von aufgeklappten Kleiderschränken zum Beispiel oder von Reisekoffern, vor allem von Reisekoffern, die ich packen wollte, um abreisen zu können, sagte der Mann neben mir.
    Zum Beispiel erinnere ich mich, sagte er, wie ich mit den Händen die Fensterscheiben eines Berliner Hotels berührte, die vom Brand des gegenüberliegenden Schauspielhauses erhitzt waren. Ich erinnere mich an den tiefen Eindruck, den diese Berührung auf mich machte. Und ich erinnere mich an den Wind in Berlin, in einem vollkommen baumlosen Gelände. Wind, der für mich bisher immer nur durch das Schütteln der Bäume vor dem Fenster erzeugt worden war. Ich war bis zu diesem Moment der Meinung, daß der Wind nicht die Bäume schüttele, sondern daß durch das Schütteln der Bäume Wind entstünde.
    Mitte Mai sah ich ein bleiches Gesicht im Spiegel und einen offenen Mund. Plötzlich begann ich zu zittern. Ich zitterte etwa drei oder vier Tage, vielleicht etwas länger, vielleicht eine Woche. Ich konnte nichts halten, alles fiel auf den Boden. Auf der Treppe nahm ich drei Stufen auf einmal, die ganze Zeit hörte ich Schritte hinter mir, und am schlimmsten war es für mich, mit der Bahn zu fahren, mit der Untergrundbahn. Ich blieb tagsüber im Bett und betrachtete mein Leben von allen Seiten. Auch die Beobachtung der Zimmerdecke gehörte zu meinen Aufgaben, die Erforschung der Zimmerdecke. Ich konnte sprechen, sagte der Mann, aber ich konnte nicht so schnell und so oft sprechen, wie ich es gern getan hätte. Manchmal sah ich nach unten und sah meine Hände, aber ich wußte nicht, ob das meine Hände waren, oder die Hände der Frau, die neben mir stand und ihren dünnen Mantel zuknöpfte, abends, am 17. Mai. An diesem Abend versuchte ich, etwas zu berühren, etwas ich glaube Weiches, Gewölbtes, aber ich konnte es nicht erreichen. Das war nichts Besonderes, ich machte mir keine Gedanken und dachte an etwas ganz anderes.
    Ich lag da und wußte nicht, wer ich war. Ich erinnerte mich nicht an mich, schon gar nicht, woher ich kam und wohin ich wollte. Ich erinnerte mich auch nicht an die Männer, die ich damals gesehen habe, als sie im Hintergrund vorbeigingen. Sie trugen Mützen und Taschen, aber ich erinnerte mich nicht an sie. Ich erinnerte mich auch nicht an ihre Mäntel, die dunkel waren und weit und unter denen sie Dinge

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