Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
seineSchultern geladen; die Mönche und ihr Abt trugen das Böse in ihrer Mitte, damit es nicht über die Welt kam, und die Welt dankte es ihnen ebenso wenig, wie sie dem Erlöser seinen Opfergang gedankt hatte. Wolfgang drehte sich um. Die ausgefranste Linie der Mönche schien durch das Nichts zu marschieren, als gäbe es kein Ziel, an das sie gelangen konnten, als gäbe es nur die ewige Wanderung, die sie aufgenommen hatten. Die Schneelandschaft sah plötzlich aus wie der weiße Ledereinband der Teufelsbibel, und Wolfgang musste blinzeln, als die Vorstellung von ihm Besitz ergriff, dass sie nicht mehr waren als winzige Insekten, die über das gigantische Buch krochen, nicht ahnend, dass ihr Weg sie dem Bösen nicht würde entkommen lassen. Er spürte die Verzweiflung so stark in sich, dass sie ihm den Atem nahm. Vater, warum hast du mich verlassen?
Als die Sext vorüber war, wurde offenbar, dass sie ihr Ziel heute allen Anstrengungen zum Trotz nicht erreichen würden.
»Wir müssen in Wekelsdorf haltmachen!«, brüllte der Kellermeister gegen den Wind. Abt Wolfgang musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Die Erbitterung stieg ihm in den Mund wie ein schlechter Geschmack. Wortlos wandte er sich ab und stapfte zu den Eseln hinüber, zwischen denen die Truhe aufgehängt war. Er stellte sich davor auf.
»Was willst du?«, flüsterte er. »Bist du es, das uns nicht zur Ruhe kommen lässt? Treibst du uns über das Land, als wären wir längst Geister? Fühlst du dich deiner Fesseln ledig und willst verhindern, dass sie dir jemals wieder angelegt werden?«
Er sah sich um. Die Mönche drängten sich zu einer Gruppe zusammen. Dutzende von Augenpaaren starrten ihn an. Der Kellermeister war ihm gefolgt und stand zwischen ihm und seiner Herde. Abt Wolfgang wurde sich langsam dessen bewusst, dass er nicht nur geflüstert hatte. Seine Kehle schmerzte. Er wandte sich wieder der Truhe zu.
»Was willst du?«, schrie er, von einem Moment zum anderen davongetragen von einer berserkerhaften Wut. Wenn er eine Axt gehabt hätte, er hätte auf die Truhe eingedroschen. »Hast du, tief dort drin in deiner Truhe, die Herzen aller vergiftet? Hast du die Verdammten von Braunau zum Aufstand geführt, hast du uns gezwungen, unsere eigene Gemeinschaft aufzulösen? WAS WILLST DU?«
»Ehrwürdiger Vater …«, sagte der Kellermeister. Er zögerte, dem Abt eine Hand auf die Schulter zu legen, schließlich ließ er sie sinken.
Abt Wolfgang drehte sich um und stapfte davon, wieder an die Spitze ihres erbärmlichen Zuges. Die Wut brodelte noch immer in ihm. Er brauchte mehrere Ansätze, doch dann gelang es ihm, seine Stimme über den Wind zu heben und zu singen. Er erinnerte sich nicht, dass er den Psalm schon einmal in einer ähnlich verzweifelten Lage angestimmt hatte: »Sed et si ambulavero in valle mortis non timebo malum quoniam tu mecum es virga tua et baculus tuus ipsa consolabuntur me!« Damals hatte er die Worte gebrüllt; jetzt riss sie ihm der Wind von den Lippen und verwehte sie über das schorfige Land. Falls seine Mönche in den Gesang einstimmten, konnte er es nicht hören. Er marschierte voran, ein Mann, der immer noch glauben wollte, dass er mit den Psalmen auch die Kraft Gottes zurückholen konnte, und der gleichzeitig gegen das Wissen ankämpfte, dass er bereits alles verloren hatte, was ihm jemals wichtig gewesen war.
Am Morgen des dritten Tages sahen sie in der Ferne die Rauchsäulen der Kamine von Starkstadt aufsteigen. Wolfgang hörte, wie der Kellermeister »Gelobt sei der Herr!« hervorstieß und wie sich unter den Mönchen schwacher Jubel ausbreitete. Er hatte die Führung der Gruppe seit ihrem Aufbruch aus Heinzendorf nicht mehr abgegeben, und nun wandte er sich zu den Mönchen um.
In diesem Moment erspähte er die Reiter, die auf der Straße hinter ihnen auftauchten und in donnerndem Galopp auf sie zuhielten.
9
Als Cyprian sah, wie die Mönche sich zusammendrängten und einer von ihnen plötzlich aus ihrer Gruppe hervorbrach, mit wedelnden Armen von der Straße herunter in das nächste Feld floh, dort in den Schnee stürzte und panisch auf allen vieren weiterzukriechen versuchte, wurde ihm bewusst, dass sie den Benediktinern erscheinen mussten wie die Reiter der Apokalypse. Er ließ die Männer halten und trottete nur mit Andrej an seiner Seite weiter auf die Mönche zu. Er sah die Truhe in ihrem Tragegestell hängen und fühlte eine vage Erleichterung – und zum ersten Mal seit ihrem hastigen Aufbruch in
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