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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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wortlos die Treppe wieder hinauf.
    8
    Abt Wolfgang Selender stolperte voran. Er ahnte, dass die Lähmung seines Körper leichter geworden wäre, wenn er angefangen hätte, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, aber es war unmöglich. Zu akzeptieren, dass er und seine Mönche tatsächlich hatten fliehen müssen – fliehen , nicht nur einen geordneten Rückzug antreten oder eine teilweise Räumung des Klosters erwägen! –, war schlichtweg zu viel. Er fühlte sich wie in einem Albtraum, und dass er dieBeine kaum heben konnte und die Kälte in seine Füße biss und der Gesang der Mönche von einem in heftigen Böen wehenden, feuchtkalten Wind zu einem geisterhaften Lamento zerrissen wurde, steigerte noch das Gefühl der Verlorenheit. Ab und zu schwamm ein klarer Gedanke in dem Strudel hoch, den sein Verstand bildete, und sagte ihm vorwurfsvoll, dass er sich nicht wie ein Hirte seiner Herde verhielt, und dann schämte er sich vage und zuckte vor dem Bild des hilflos in seiner Zelle betenden Abtes Wolfgang zurück, während der Kellermeister und der Torhüter (ausgerechnet er!) beinahe kaltblütig die Flucht um ihn herum organisierten. Er sah in der Erinnerung, wie sie ihn am Arm packten und aus der Zelle führten, und der letzte Anblick des Raumes, der so lange das Zentrum seiner Arbeit gewesen war, blitzte vor seinen Augen: das eine Vade retro, satanas! , das er hatte stehen lassen, und daneben (er wusste, dass es mit dem bloßen Fingernagel in den weichen Putz gekratzt worden war, weil er selbst es getan hatte) ein neuer Aufschrei: Eli, eli, lama sabachthani?
    Er hatte Abt Martin, seinen Vorgänger, verachtet dafür, dass er dem Wahnsinn nicht widerstanden hatte. Aber war Weiche zurück, Satan! nicht dennoch energischer als das verzweifelte Lamento, das er selbst danebengekratzt hatte: Vater, warum hast du mich verlassen?
    Sie bildeten eine unzusammenhängende Reihe von Gestalten, die sich gegen den Wind stemmten und unter der Last wankten, die sie abwechselnd auf ihre Schultern verteilt hatten. Einen großen Teil des Klosterschatzes hatten sie retten können: Monstranzen, goldene Kelche, Geschmeide, simple Geldmünzen, aber die Bücher waren alle bis auf eines zurückgeblieben, und das eine ruhte in seiner Truhe in einer komplizierten Aufhängung zwischen zwei Eseln.
    Es war ihnen gelungen, das Kloster durch den Ausgang unterhalb der Brücke zu verlassen, die von den Obstgärten zum Mühlentor führte. Der tiefe Graben, den die Brückeüberspannte, führte von der Unterstadt steil hinauf zu dem Felsplateau, auf dem die Oberstadt lag. Die Brücke konnte an ihrem oberen Ende leicht von ein paar Klosterknechten gesichert werden. Die Mönche waren währenddessen den Graben hinuntergerutscht, am Badehaus und dem Gefängnis vorbei, und hatten sich sofort nach Norden gewandt. Nach einer Stunde hastigem Marsch waren noch immer keine Verfolger sichtbar geworden, und selbst die Klosterknechte waren unversehrt zu ihnen gestoßen. Wie es schien, war die Flucht gelungen. Hielt Gott die Hand doch noch über den Abt und seine Herde? Was mit dem Kloster geschehen war, das der Invasion der Rebellen nun ungeschützt ausgeliefert war, stand auf einem anderen Blatt. Wolfgang hatte lange Zeit gefürchtet, plötzlich den roten Widerschein der brennenden Gebäude über die Schneelandschaft zucken zu sehen; er hätte die passende Farbe zu diesem Albtraum geliefert. Doch der Himmel war dunkel und der Schnee in der träge heraufziehenden Dämmerung blau geblieben. Schneeverwehungen, deren Oberfläche im Wind taute und in Lee wieder gefror, sahen aus wie geöffnete Mäuler, die nach den Füßen von Reisenden schnappten. Die Hoffnung, dass Gott trotz allem auf seiner Seite war, war mit jeder Stunde schwächer geworden. Wo früher die Gewissheit der Stärke Gottes gewesen war, klaffte jetzt ein Loch in Abt Wolfgangs Mitte.
    Zur Non hatten sie erst Heinzendorf erreicht. Die Häuser zogen sich an der Steine entlang, als gehörten sie nicht zusammen, geduckt im hier eng gewordenen Flusstal zwischen Heidelgebirge, Steinerrücken und Kahlerkoppe. Der erste Tag der Flucht endete hier. Die Brüder konnten nicht mehr weiter, und selbst Wolfgang in seiner Betäubung war nicht entgangen, dass er seine Zehen nicht mehr spüren konnte und ins Warme musste, wenn er sie sich nicht abfrieren wollte. Sie erhielten Unterschlupf in einer größeren Pächterkate, deren eigentliche Bewohner sich zuerst scheu in eine Ecke drängten. Nach einer Weile schien

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