Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Geschichte nur, um sie von der Gefahr abzulenken, in die sie in ihrer blinden Flucht aus ihrem Elternhaus gerannt war. Tatsächlich war es eine Botschaft gewesen. Sie wusste nicht, ob ihm selbst völlig klar gewesen war, welch tiefere Bedeutung die Geschichte hatte, doch nun, im Sonnenschein in der weichen Umarmung des Betts liegend, verstand zumindest Agnes, was die Legende von der Spinnerin am Kreuz für sie und Cyprian bedeutete.
Sie schluckte. Wie hatte sie nur so blind sein können? Die Liebe zwischen ihr und Cyprian war so groß, dass sie das Nächstliegende nicht erkannt hatte: Zur Liebe gehörte der Glaube. Der Glaube, dass Liebe etwas war, um das gekämpft werden musste. Der Glaube, dass die Liebe von allen das Größte war. Der Glaube, dass Liebe niemals starb.
Sie schlug die Augen auf. Sebastian Wilfing stand vor dem Bett und starrte auf sie herab, und sein Gesicht war eine Fratze des Hasses.
3
Kardinal Melchior hatte immer gedacht, dass sein Neffe Cyprian ihn eines Tages beerben würde. Und nun sah es so aus, als müsse er, der alte Mann, stattdessen Cyprians Aufgabe übernehmen und für dessen Familie sorgen. Er schnaubte. Um die Familie seines Bruders, des vor langer Zeit verstorbenen Bäckermeisters in Wien, machte er sich keine Sorgen. Kaiser Matthias war zu schwach oder zu wankelmütig gewesen, um die Hand schützend über ihn, seinen Minister, zu halten, aber der Kaiser war in Wien, ebenso wie der Zweig der Familie Khlesl, der ihn, den Kardinal, sowie Cyprian als die schwarzen Schafe betrachtet hatte. König Ferdinand würde nicht wagen, den Wiener Khlesls zu schaden. Abgesehen davon war er vermutlich zu stark damit beschäftigt, ein Feuer anzuzünden, in dem das bisherige Heilige Römische Reich untergehen würde. Die Situation in Prag hingegen sah anders aus.
Der Kardinal spähte aus der Fensteröffnung. Die Berge hier in Tirol waren noch bis in die höheren Tallagen tief verschneit. Unter dem metallisch blauen Frühlingshimmel stach das Weiß in die Augen. Melchior Khlesl war niemals ein Mann gewesen, der sich in der Natur wohlfühlte. Die Berge, die ihn anregten, waren Berge von Dokumenten auf seinem Arbeitstisch. König Ferdinand hatte es wahrscheinlich nicht so beabsichtigt, aber tatsächlich kam die Inhaftierung auf Schloss Ambras inmitten der majestätisch-abweisenden Bergwelt rund um Innsbruck beinahe einer verschärften Bestrafung gleich. Melchior zog die Luft ein – kalt, schneeig, unversöhnlich. Er schnitt dem Bergpanorama eine Grimasse.
Man hielt ihn nicht gerade in einer Kerkerzelle fest. Die Räumlichkeiten, die ihm zur Verfügung standen, waren nicht weniger bequem als die in seinem bischöflichen Palast in Wien oder in dem Haus, in dem er in Prag residiert hatte. Aber dieWächter draußen vor den Türen seiner Zimmerflucht hatten die Anweisung, die Riegel vorzulegen, und man hatte ihm auferlegt, um Ausgang bitten zu müssen, wenn er die Räume verlassen wollte. Diese spezielle Demütigung allerdings prallte an Kardinal Melchior ab – schon in Wien oder in Prag hatte sich sein Bedarf nach frischer Luft mit einer Wagenfahrt entlang der Felder und Fischreusen an der Donau oder mit einem kurzen Abstecher auf die Hügel rund um Prag befriedigen lassen. Tatsächlich war der Verwalter von Schloss Ambras, nachdem sein Gefangener tagelang keine dahin gehende Bitte geäußert hatte, bei ihm vorstellig geworden und hatte sich dafür entschuldigt, dass man ihm zumute, nach der Freiheit verlangen zu müssen, die einem Staatsmann im Exil (das Wort »Gefangenschaft« hätte sich auch mit allen Mitteln der peinlichen Befragung nicht aus dem Mund des Verwalters hervorzwingen lassen) zustand, und gefragt, ob es Seiner Eminenz wohl recht wäre, dass er, der Verwalter, untertänigst nachfrage, ob Seine Eminenz ihn gnädigerweise begleiten wollten, wenn er, der Verwalter, seiner wöchentlichen Besuchspflicht in den Besitzungen des Schlosses nachkäme. Der Mann hatte merklich transpiriert. Kardinal Melchior war so gnädig gewesen, die Einladung anzunehmen, und hatte den Verwalter seinerseits darum gebeten, sein Gegner beim Schachspiel zu sein. Seitdem verlor Melchior die eine oder andere Partie (nicht ohne Mühe), was den Verwalter jedes Mal noch mehr zum Schwitzen brachte. Melchior beneidete den Mann nicht. Gunst und Ungunst änderten sich in den Kreisen, in denen sich ein Kardinal und Minister üblicherweise bewegte, schneller als das Tiroler Wetter, und es kam immer wieder vor, dass die
Weitere Kostenlose Bücher