Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Begnadigung und Wiedereinsetzung in die alten Würden für einen inhaftierten Reichsbeamten bereits unterwegs war, während sein Kerkermeister sich noch den Kopf zerbrach, welche Demütigung man dem Gefangenen antun könnte. Nicht alle wieder in den Status der Gnade zurückgelangten Beamten warenso wenig rachsüchtig wie Kardinal Melchior, und der Verwalter von Schloss Ambras hatte nicht vor, sich auf die mögliche Gutmütigkeit seines Gefangenen zu verlassen.
Insofern unterschied sich das Leben des Kardinals in seinem erzwungenen Exil in Tirol nicht allzu sehr von seinen vorherigen Tagen, wenn man davon absah, dass er nichts zu tun hatte, ihm jegliche Korrespondenz verboten war, er sich Sorgen um Cyprians Familie machte und der Schmerz um den Tod seines Neffen ihm ein nagender Begleiter geworden war.
Die Riegel an der Tür schnappten zurück. Melchior wandte sich vom Fenster ab. Der Schlossverwalter hatte seinen eigenen Leibdiener dazu abgestellt, sich um seinen Gefangenen zu kümmern. Es war vermutlich als Kompensation dafür gedacht, dass sich zwei der Soldaten im Raum postierten, wann immer der Kardinal etwas zu essen bekam, eine Partie Schach spielte oder sonst wie nicht allein war. Die Soldaten gehörten zum Regiment von Oberst Dampierre und gaben sich alle Mühe, die schlechten Manieren ihres Obersten zu kopieren.
»Ich hab ’as Essen, Eminenz«, sagte der Leibdiener und grinste. Der Mann sah aus, als habe er die ersten sechzig Jahre seines Lebens auf einer Bergspitze verbracht und sei seither schon weitere sechzig in den Diensten des Schlossverwalters gewesen. Sein Alter war nicht zu schätzen, aber man hätte ihm jederzeit zugebilligt, dass er schon zu Christi Geburt auf der Welt gewesen war. Obwohl er sich die längste Zeit im Schloss aufhielt, war seine Haut tief gebräunt, sein Haar und seine Augenbrauen waren gebleicht und seine Hände rissig, groß und so sehnig wie die eines Bergmannes. Wenn er sprach, tat er es mit den gutturalen Lauten des Tiroler Volks. Es hörte sich an, als kollerten Steine hinter dem Zahnverhau herum, den er in einem Dauergrinsen präsentierte. Er und der Kardinal waren Komplizen von dem Tag an gewesen, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren.
Der Leibdiener balancierte ein Tablett auf seinen Händen. Der Teller und der Krug darauf waren mit Tüchern bedeckt. Zwei der Soldaten kamen mit ihm herein.
»Hey!«, sagte einer, dessen Gesicht Kardinal Melchior unbekannt war. Der Leibdiener drehte sich halb zu ihm um und zog die Augenbrauen hoch. Es war eine Komödie, die sich immer dann wiederholte, wenn ein neuer Mann zur Bewachung des Kardinals abkommandiert worden war. König Ferdinand ließ das Wachpersonal jeden Monat komplett austauschen und dazwischen einzelne Soldaten rotieren. Abgesehen davon, dass die Vorsichtsmaßnahme bewies, wie sehr der König seinen Gefangenen fürchtete, was Kardinal Melchior amüsierte, schien es ihm, als sei er der Einzige, der die Komödie mittlerweile leid war.
»Zeigen«, sagte der Soldat.
Der Leibdiener zuckte mit den Schultern.
Der Soldat zog das Tuch vom Teller. Der Geruch nach gebratenem Geflügel stieg auf. Der Soldat nahm das kleine Silbergestell weg, welches das Tuch gestützt hatte, dann hob er mit der freien Hand (und Fingern, die schwarz von Waffenöl und Schmutz waren) das Hähnchen hoch und wendete es, spähte in die Öffnung am After hinein und ließ es schließlich zurück auf den Teller plumpsen. Er schüttelte seine Hand, dann leckte er sich die Finger ab. Sein Blick bohrte sich die ganze Zeit über in die Augen des Leibdieners. Jetzt wandte er sich ab und grinste den Kardinal kalt an. Die Geste verlor etwas an Wirkung, weil er sich nochmals gezwungen sah, seine Finger zu schütteln.
»Heiß, net?«, fragte der Leibdiener.
Der Soldat warf Gestell und Tuch achtlos auf das Tablett und enthüllte den Krug. Er spähte in die Öffnung.
»Muskateller für den Herrn, eh?«, knurrte er. Er steckte einen Finger hinein, tat so, als rühre er damit um, dann hob er den Krug hoch und trank provozierend einen langen Schluck.
»Zum Händwaschen«, sagte der Leibdiener. »Aus’m Pferdetrog.«
Der Soldat starrte ihn hasserfüllt und mit tanzendem Adamsapfel an. Schließlich winkte er mit dem Kopf. »Mach schon, du Arsch.«
»Ischt chlar«, sagte der Leibdiener. Er brachte das Tablett zum Tisch, stellte es ab, breitete die beiden Tücher wieder über das Essen, zog sie dann zeremoniell beiseite und sagte: »Chapaun, Eminenz«,
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