Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
als sei es die größte Offenbarung aller Zeiten.
»Danke«, sagte Kardinal Melchior und setzte sich.
»Eminenz erlauben, dass ich später noch amal wiederchomm?«, fragte der Leibdiener. »Der Herr hat noch an Dienscht für mich, net?«
»Natürlich«, sagte Kardinal Melchior.
Der Leibdiener verbeugte sich und verschwand durch die Tür. Die beiden Soldaten wechselten einen unschlüssigen Blick, dann verließen sie den Raum und knallten den Riegel demonstrativ von außen vor. Melchior nahm Teller und Krug vom Tablett und hob das Tablett dann hoch. Auf dem Tisch lag ein akribisch geglätteter Bogen Papier, eng beschrieben. Noch nie war einer der Soldaten auf die Idee gekommen, dem Leibdiener das Tablett abzunehmen und darunterzuschauen, obwohl sie ansonsten nicht einmal davor zurückschreckten, Backwaren auseinanderzubrechen und nach Kassibern zu durchsuchen. Melchior bewunderte die Fertigkeit der dicken, langen Bergmannsfinger, mit der der Leibdiener die geheimen Nachrichten unter dem Tablett so festklemmte, dass nie auch nur ein Zipfelchen davon zu sehen war, und mit der er das Tablett so auf dem Tisch abstellte, dass das Papier nicht einmal verrutschte.
Als Nächstes packte Melchior den Rand des Krugs mit spitzen Fingern und hob den kupfernen Einsatz heraus. Er war nur halb so tief wie der Krug. Darunter versteckten sichSchreibzeug und ein kleines Stückchen hart gewordener Dornrindentinte, das Ergebnis eines langen Prozesses des Auskochens gelöster Schlehenrinde, Eindickens, Vermischens und Trocknens des Suds, bis sich schließlich eine harte Masse ergab, von der man kleine Stückchen abbrechen und in Wein oder Wasser verflüssigen konnte. Kopisten in Klosterstuben und Schreiber in Kontoren nannten die Masse etwas unpräzise Tintenstein, obwohl der wahre Tintenstein eine Art von Schiefer war, den man im fernen China verwendete.
Das Wasser im Behälter war mehr als ausreichend, um sie wieder schreibfähig zu machen. Es war auch noch nie einer der Soldaten auf den Gedanken gekommen, dass die Tonkrüge mehr enthalten konnten als nur ihren metallenen Einsatz.
Wann immer Wasser statt Wein im Krug war, war das ein Zeichen dafür, dass auf geheimen Wegen Korrespondenz für den Kardinal angekommen war. In solchen Fällen pflegte der Leibdiener eine weitere Besorgung vorzuschützen, damit die Soldaten den Kardinal allein ließen und ihm so die Möglichkeit gaben, die Nachricht zu lesen und zu beantworten. Die Wachen hatten den Befehl, den Kardinal stets dann aus der Nähe zu überwachen, wenn er Besuch hatte. Man konnte sich darauf verlassen, dass sie nicht freiwillig bei ihm im Raum blieben, wenn er sein im Übrigen ausgezeichnetes Essen verzehrte und ihre eigenen knurrenden Mägen später nur Brot und Brei bekamen.
Der Kardinal aß ein paar Brocken Fleisch, ohne sich darum zu kümmern, dass die Schmutzpfoten des Soldaten es berührt hatten. Dann trank er vom Wasser, das natürlich nicht aus dem Pferdetrog stammte, ohne sich am zarten Aroma von Soldatenfingern zu stören. Es gab Schlimmeres. Sein Herz hatte bereits schneller zu schlagen begonnen. Die Schrift auf dem Papier war die von Wenzel von Langenfels, und Nachrichten, die direkt von ihm kamen, bedeuteten meistens nichts Gutes.
4
» Das …«, quiekte Sebastian und hielt ein zerknülltes Bündel Papier hoch, »das …«
»Wie kommst du hier herein?«, fragte Agnes. Sie hatte sich auf die Ellbogen gestützt und wusste nicht, ob sie von der rüden Unterbrechung ihrer Gedanken und von Sebastians Eindringen in ihren Rückzugsort verärgert, von seiner offensichtlichen Wut verängstigt oder von seinem Pathos belustigt sein sollte. Noch während sie darüber nachdachte, siegte der Ärger. »Mach, dass du rauskommst. Du hast nichts in unserem Schlafzimmer verloren. In meinem Schlafzimmer!«
»Hast du das gewusst?«, keuchte Sebastian. »Natürlich hast du es gewusst!«
»Verschwinde!«
»Das ganze mährische Geschäft ist zusammengebrochen seit letztem Jahr. Die Erträge der Firma sind um über zehn Prozent zurückgegangen. Und jetzt finde ich das!« Er zerknüllte das Papier noch mehr.
»Na gut«, sagte Agnes. »Ich werde jemanden zu Hilfe rufen.«
»Eine Nachricht von Vilém Vlach, der bis letztes Jahr der wichtigste Geschäftspartner der Firma war. In der Nachricht steht … Aber das weißt du ja ohnehin, du und dieser Nichtsnutz von deinem«, er spie das Wort hervor, » Bruder! Und Cyprian hat das Ganze gedeckt! Das ist Betrug! Das ist vor allem
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