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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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bersten, doch er hielt den Erguss mit übermenschlicher Anstrengung zurück. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Dazwischen schrie eine nebensächliche Stimme aus der Ferne und empfahl ihre Seele der Gnade Gottes, und der Gestank von brennendem Fleisch und Schwefelfeuer drang immer stärker durch die geöffneten Fenster herein.
    Heinrich stöhnte unwillkürlich.
    »Schmerzt deine Wunde wieder?«, fragte Alexandra und strich ihm über die Stirn.
    Heinrichs Vater, der alte Heinrich, hatte seinen einzigen Sohn in die Fremde gesandt, damit er sich die Hörner abstoßen konnte. In Wahrheit war sein Motiv wohl eher darin zu suchen gewesen, dass er dem Zyniker, zu dem sein Sprössling herangewachsen war und der Katholiken und Protestanten gleichermaßen lächerlich fand, nicht traute. Schon damalsspielte der Alte mit den Plänen, auf seinem Besitz eine Druckerei einzurichten und katholisch inspirierte Hetzschriften gegen den Kaiser zu verbreiten. Heinrich der Jüngere war nicht traurig gewesen, das Elternhaus zu verlassen. Man hatte Beziehungen nach Paris, zum Haus de Guise, und je weiter das Ziel von Böhmen entfernt war, desto besser.
    Anfangs empfand Heinrich es als Kompliment, dass Madame de Guise, die nur wenig jünger war als seine Mutter, ihm schöne Augen machte. Sie war nicht der Typ, der ihm gefiel, aber er war jung, er hatte Gesicht und Gestalt eines kriegerischen Engels, die Welt war voller Weiberfleisch, und für eine füllige Alte, die man ritt, gab es fünf schlanke Junge, die sich drängelten, die Nächsten in der Reihe zu sein, und wenn jemand, der im Ausleiern von Matratzen offensichtlich so erfahren war wie Madame de Guise, auf Heinrichs Künste stand, dann konnte er wohl mit sich zufrieden sein.
    Als er in Paris eingetroffen war, war König Heinrich IV. bereits tot gewesen und der Prozess gegen seinen Mörder, Franois Ravaillac, den Schulmeister aus der Provinz, in vollem Gang. Zwei Wochen nach dem Mord stand das Urteil fest, und Heinrich war eingeladen, der Hinrichtung von den Fenstern des Palastes de Guise aus beizuwohnen.
    »Henyk?«
    Er erinnerte sich, dass er an jenem Tag inwendig zitterte. Zeuge zu sein, wie der Henker einen von der Leiter stieß und baumeln ließ oder ihm das Haupt mit einem Schwertstreich vom Körper trennte, war das eine. Niemand, der zu diesen Zeiten die Volljährigkeit erreicht hatte, wurde von einem derartigen Schauspiel verschont. Die grauenhafte Art, in der ein Königsmörder nach den Gesetzen Frankreichs vom Leben zum Tod gebracht wurde, war etwas anderes, und er wusste damals nicht, ob er imstande wäre, der stundenlangen Prozedur zuzusehen und dabei intelligente Witze zu reißen. Gleichzeitig wusste er jedoch, dass allein schon die Anwesenheit derangekündigten Damen es verbieten würde, sich zurückzuziehen oder Empfindsamkeit zu zeigen.
    Was er nicht wusste, war, dass das Beben in seinem Zwerchfell (wenn man es genau nahm, unterschied es sich gar nicht so sehr von dem Pochen, das er viel später angesichts der Teufelsbibel verspüren sollte) in Wahrheit nicht Angst, sondern die Erwartung eines Erweckungserlebnisses war.
    Diener führten ihn und einen ihm unbekannten jungen Franzosen, der offensichtlich wie er eine Einladung erhalten hatte, in eines der Gemächer, die zur Place de Grve hinausgingen. Die beiden Männer beäugten sich wie Gockel in der Arena, doch Konkurrenz war nicht erwünscht, eher brüderliche Zusammenarbeit. Während sich der Platz draußen mit einer erwartungsvoll-zornigen Menge füllte, die sich die Stationen von Franois Ravaillacs Büßerweg zuschrie, wurde Heinrich bewusst, dass er weit mehr zu leisten hatte, als nur der Hinrichtung überlegen zuzusehen. Durch die offenen Fenster hörte er, dass Ravaillac soeben den ersten Teil seiner Buße vollbrachte, nämlich im Armesünderhemd vor der Kathedrale von Notre-Dame zu knien und mit einer zwei Pfund schweren Kerze in den Händen die Verwerflichkeit seiner Tat zu bereuen. Madame de Guise kniete währenddessen ebenfalls auf dem Boden und wog zwei Kerzen aus Fleisch und Blut gegeneinander ab, aufmerksam beobachtet von Mademoiselle de Guise.
    »Das Urteil lautete, dass Ravaillac mit glühenden Zangen gerissen und geschmolzenes Blei, brennender Schwefel und heißes Pech in die Wunden gegossen würden«, sagte Heinrich langsam und sah wie von Ferne, wie Alexandra das Blut aus dem Gesicht wich. »Danach würde die Hand, mit der er den Dolch geführt hatte, langsam in Schwefelfeuer bis zur Handwurzel

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