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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Ravaillac auf und durchtrennten mit Fleischermessern die Sehnen unter seinen Armen und in seinen Leisten.
    Die Pferde stoben ruckartig in alle Richtungen auseinander.
    Die Zuschauer klatschten Beifall. Er achtete nicht auf sie. Er starrte dem Verurteilten in die Augen, dem Verurteilen, der nur noch ein sich windender Torso auf dem Boden war, bis das Licht in ihnen brach. Für den winzigen Bruchteil eines Moments hatte so etwas wie Verstehen zwischen ihnen bestanden, in dem Augenblick, in dem die Henkersknechte die Hackmesser eingesetzt hatten – das Verstehen, dass trotz all der vorherigen Martern dieser eine Akt, dieses fleischerhandwerkliche Durchtrennen der Sehnen wie bei einem geschlachteten Tier, die eigentliche Entwürdigung gewesen war und den Menschen Franois Ravaillac, dessen Haar während der Prozedur weiß geworden war, zu einem blutigen Stück Fleisch reduzierte.
    Die Zuschauer stürmten an Heinrich vorbei, stießen ihn, schubsten ihn beiseite, versuchten, sich eines der abgerissenen Körperteile zu sichern. Er ließ sich zurückfallen. Ein besonders heftiger Stoß drehte ihn halb herum, und er sah die Fenster des Palastes de Guise und die beiden erhitzten Gesichter der Damen – und an den Fenstern der angrenzenden Gemächer weitere rotwangige Gesichter, so dass er wusste, dass in allen zur Place de Grve hingewandten Räumen dieZerfleischung des Königsmörders lustvoll begleitet worden war. Er hätte es sich denken können; dennoch traf es ihn wie ein Schock. Herzschläge lang fühlte er sich nicht weniger entwürdigt als der Tote neben dem Schafott. Die roten Wangen und die glänzenden Augen schienen ihm Spiegel seines eigenen Gesichts zu sein, und zugleich fühlte er grenzenlose Verachtung für sie. Sie hatten sich nur am Sterben des Verurteilten aufgegeilt, was sie morgen schon wieder vergessen haben würden. Er hingegen hatte einen Blick in die tiefste Tiefe seiner Seele getan, und das würde ihn für den Rest seines Lebens von ihnen abheben.
    Er konnte nicht in den Palast zurückkehren. Er wusste nicht, was er getan hätte, wenn Madame oder Mademoiselle de Guise einen Nachschlag verlangt hätten, aber er ahnte, dass Blut geflossen wäre. Was in ihm erwacht war, gellte und geiferte durch sein Gehirn. Der letzte Rest Moral, der das Gegeifer hätte eindämmen können, war zu Asche geworden. Er taumelte in eine Gasse und stieß mit einer Gestalt zusammen, die erschrocken aufschrie. Seine geröteten Augen erkannten, dass es eine Frau war, ohne ihm mitteilen zu können, ob sie alt oder jung, hübsch oder hässlich war. Knurrend wie ein Tier zwang er sie zu Boden und vergewaltigte sie, und während er in ihr war, drosch er mit der Faust in ihr Gesicht, immer und immer wieder, bis sie sich nicht mehr rührte und er schluchzend und gleichzeitig voller Blutdurst heulend davonstolperte.
    Er war gestorben. Er war neugeboren. Manchmal, so wie jetzt, wenn die Erinnerung erwachte, fühlte er sich, als wolle er sich die Seele aus dem Leib kotzen.
    »Du bist totenbleich«, sagte Alexandra und barg seinen Kopf an ihrer Brust. Er spürte ihre Hand, wie sie ihm über die Haare strich, und durch ihr Mieder die Weichheit ihrer Brüste, an die sie sein Gesicht drückte. Einen schwindelnden Moment lang sah er die Brüste der Frau vor sich, die er in derGasse vergewaltigt hatte. Er brauchte seine ganze Beherrschung, um nicht die Zähne hineinzuschlagen und das zarte Fleisch Alexandras zu zerfetzen.
    »Ich liebe dich«, sagte sie.
    6
    Wenzel merkte erst, dass Wilhelm Slavata neben ihn getreten war, als er den freundlich gemeinten Rippenstoß empfing.
    »Schläfst du, Ladislaus?«
    Wenzel starrte den königlichen Statthalter an. Hätte Slavata sich nicht auf Zehenspitzen gestellt und versucht zu sehen, was Wenzel vor sich auf dem Schreibpult liegen hatte, wäre ihm der Gesichtsausdruck seines Schreibers aufgefallen, und er hätte vermutlich auf seine übliche, freundschaftlich rumpelnde Art gefragt: Hast du deinen eigenen Geist gesehen, Ladislaus?
    »Was hast du denn da?«
    Wenzel hielt den Atem an, um etwas Farbe in seine Wangen zurückzuzaubern. »Ist eben reingekommen, Exzellenz!«, stieß er dann hervor und holte keuchend Luft. Slavata musterte ihn von der Seite. Der Reichsbeamte musste in den Jahren seines Dienstes für Kaiser und König so viel Exzentrik erlebt haben, dass Wenzels Verhalten ihn nicht mehr störte.
    »Wichtig?«
    »Weiß nicht, Exzellenz.«
    »Wofür lasse ich dich die eingehenden Nachrichten

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