Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
Vom Netzwerk:
konnte, ihm dieser Jemand aber sehr wohl in die Augen blicken konnte. Er verbeugte sich. Sie gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er ihr folgen solle.
    Er war überrascht, dass sie ihn zuerst in die Kirche führte. Als sie vor dem Altar niederkniete, tat er es ihr in einigem Abstand nach. Man musste so tun, als würde man die Gebräuche seiner Gastgeber achten, wenn man etwas von ihnen wollte. Er wusste nicht, was sie betete; er konnte sie weder flüstern hören, noch sah er ihre Lippen unter dem Seidentuch. Es dauerte endlos. Er betrachtete das große Loch im Dach, dieSchutthaufen in den Seitenschiffen und den von Frost und Wasser aufgeplatzten Steinboden. Schließlich bekreuzigte sie sich und stand auf.
    »Ich habe für die Seele Leonas gebetet«, sagte sie.
    »Ich habe für die Seelen aller heiligen Schwestern hier im Kloster gebetet.«
    Sie reagierte nicht darauf. Stattdessen führte sie ihn wieder aus der Kirche hinaus und zum Hospiz. Heinrich spürte plötzlich ein Jucken in seinen Handflächen und stellte sich vor, wie er es damit stillen würde, dass er in ausreichend großer Entfernung vom Kloster die Hände erneut um den dürren Hals der Alten legte und zudrückte – weniger hart diesmal, nicht so, dass sie das Bewusstsein verlor, nur so weit, dass die Luft, die noch durch ihre Kehle gelangte, zu knapp war und sie Zeugin des eigenen langsamen Erstickungs…
    Er wurde sich bewusst, dass die Oberin etwas gesagt hatte.
    »Verzeihung, Mutter Oberin«, sagte er. »Ich war in Gedanken.«
    »Leona sagte gleich nach ihrem Erwachen, dass sie sehnsüchtig darauf warte, wieder mit ihren Lieben vereint zu werden.«
    »Ich werde dafür sorgen, Mutter Oberin.«
    Sie passierten den Eingang zum Hospiz. Überrascht folgte Heinrich der Oberin um die Gebäudeecke herum. War die Alte schon wieder so gut auf den Beinen, dass sie im Obstgarten des Klosters herumlaufen konnte? Zum Teufel, es schien, dass er wirklich schlampig gewesen war bei seinem Mordversuch.
    »Gott hat bereits dafür gesorgt«, sagte die Oberin.
    Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Heinrichs Verstand dem Anblick hinterherkam, auf den die Äbtissin deutete. Vor ihm lag ein kleiner Friedhof mit hölzernen Kreuzen. Nicht alle hatten eine Aufschrift. Heinrich starrte den Gottesacker an.
    »Sie ist wieder zu sich gekommen«, sagte die Oberin, »aber Gott hat sie bald danach abberufen. Sie weiß bestimmt, dass du sie heimbringen wolltest.«
    Heinrich wandte sich von dem Friedhof ab und starrte fassungslos auf den konturlosen weißen Seidenschleier.
    »Es ist der Friedhof für die Besucher, die in unserem Spital sterben und deren sterbliche Hülle niemand für sich reklamiert«, sagte die Oberin. »Die Zeiten sind hart, und Reisen fordert Opfer.«
    Heinrich war absolut sicher, dass sie ihn belog. Er wusste so sicher, wie die Sonne jeden Morgen aufging, dass Leona noch lebte und dass die Oberin ein abgekartetes Spiel mit ihm trieb. In seiner Fassungslosigkeit vergaß er sogar, dass er sie am liebsten umgebracht hätte. Er spürte ihre Blicke hinter dem Seidentuch hervor.
    »Es tut mir leid, dass du es so hart aufnimmst«, sagte sie.
    Heinrich räusperte sich. Dann räusperte er sich erneut. Er fühlte, wie sein Körper sich in dem Maß verspannte, in dem die Gewissheit immer tiefer sank, dass zwei alte Weiber es doch fertiggebracht hatten, ihn hereinzulegen. Was hatte Leona ihr über ihn erzählt, dass die Oberin bereit gewesen war, das Spielchen mitzuspielen? Er war überzeugt, dass er nur genug Türen eintreten musste, bis er die Alte in irgendeinem Versteck im Inneren des Klosters fand. Aber was würden die Nonnen in der Zwischenzeit tun? Würde ein Kontingent Soldaten, die zum Propst gehörten oder zum nächstgelegenen Bischof, ihn in Empfang nehmen, wenn er die Alte an den Haaren aus dem Kloster zerrte? War etwa schon in diesem Augenblick jemand unterwegs, um den Klosterverwalter zu alarmieren? Hatte ihn das falsche Miststück deshalb so lange in der Kirche festgehalten? Er hatte das Gefühl, dass die Luft um ihn herum zu wabern begann.
    »Ich danke für Ihre Hilfe, Mutter Oberin«, hörte er sich sagen.
    Sie begleitete ihn wortlos zur Pforte. Fast hätte er ihren Mut bewundern können. Die Handvoll alter Weiber, die in ihren Nonnentrachten in dieser Ruine herumschlichen, wären ihr keine Hilfe gewesen, wenn er beschlossen hätte, sie mit den bloßen Fäusten totzuschlagen. Wenn sie diese Scharade gespielt hatte, dann wusste sie auch, wie

Weitere Kostenlose Bücher