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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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war, als sähen die Augen aus dem zerfetzten Gesicht sie an. Der Eindruck ließ Alexandra schwindlig werden.
    »Ich bin hier eingedrungen«, stotterte sie. »Ich wollte nicht … Es tut mir leid, dass ich …«
    »Ich möchte dir etwas zeigen.«
    Das geschminkte Gesicht war fast so weiß wie das der geköpften Statue. Alexandra stierte es an.
    »Wer hat das … Warum ist das Bild …? Und die Figur der Venus? Wer hat sie zerstört?«
    »Komm mit«, sagte die Frau in Weiß. »Du bist noch immer nicht so willkommen geheißen worden, wie es dir zusteht. Ich will es wiedergutmachen.«
    »Was …? Was meinen Sie damit?«
    Aber der Blick aus den Luchsaugen war so zwingend, dass sie sich aufrichtete und der schimmernden Gestalt zurück zum Eingang des Trockenspeichers folgte. Alexandra machte einen Bogen um die geköpfte Statue.
    »Es ist nicht Venus«, sagte Polyxena von Lobkowicz. »Es ist die Göttin der Jagd. Es ist Artemis, als Aktaion sie beim Baden überrascht. Bevor sie ihn in einen Hirsch verwandelt und seine eigenen Hunde ihn dann zerreißen.«
    Alexandra wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie hatte das Gefühl, eine Botschaft erhalten zu haben, die sie nicht verstand.
    »Wie hieß Ihre Schwester?«, fragte sie, um die immer noch herrschende Beklommenheit zu überspielen.
    »Kassandra«, sagte ihre Gastgeberin.
    Der Weg führte sie aus dem Hauptbau hinaus und über den kleinen Vorplatz zum Bergfried.
    »Willst du immer noch wissen, wen du bei deiner Ankunft im Fenster gesehen hast?«
    Die unerwartete Frage brachte Alexandra vollkommen aus dem Konzept. »Ja«, sagte sie, ohne sich darüber im Klaren zu sein, ob sie es wirklich wollte und wie wichtig es überhaupt war.
    Ihre Führerin öffnete eine kleine, massive Tür im Erdgeschoss des Bergfrieds. Ein bleierner Geruch beherrschte die Kammer dahinter, vermischt mit den Überresten von Fackelrauch und heiß gewordenem Unschlitt. Sie war hoch und notdürftig erhellt von zwei breiten Fensteröffnungen in halber Höhe. Den größten Teil der Bodenfläche nahm eine gewaltige Apparatur auf einem steinernen Sockel ein. Metallbänder verbanden das vom Alter schwarz gewordene Holz mit dem Granit. Eine enorme Walze ruhte in einem Lager im oberen Bereich der Konstruktion, Räder mit langen Speichen befanden sich an beiden Enden der Walze, gebremst von eisenverstärkten Zahnrädern. Unwillkürlich schaute Alexandra zu den beiden Öffnungen hinauf. Sie ahnte, was sie vor sich sah: den alten Mechanismus, der früher eine Zugbrücke bewegt hatte, früher, als der Bergfried noch der Wächter über den Zugang zur Burg gewesen war. Wäre die Zugbrücke noch vorhanden gewesen, hätten zwei Ketten von beiden Enden der Walze durch die Öffnungen nach draußen geführt. Die Ketten fehlten. Was es noch gab, waren stramm gespannte Taue, die von der Walze in der anderen Richtung nach oben führten. Sie folgte ihnen mit den Blicken zu den beiden Umlenkrollen, die an der Decke befestigt waren, und von da zu den beiden behauenen Steinen, die an den Tauen hingen und sie spannten. Die Steine hatten die vage Form von Fäusten, die Taue hielten sie an wuchtigen eisernen Ringen, und wenn man länger hinsah, erkannte man, dass sie leise pendelten. Jeder von ihnen musste das vielfache Gewicht eines Mannes haben. Alexandra erkannte den Sinn der Konstruktion. In Friedenszeiten ließ sich die Zugbrücke mithilfe der Speichenräder bewegen. Die Räder drehten die Walze in Richtung Mauer und holten langsam die Kette ein – die Zugbrücke bewegte sich nach oben. Wenn es eilig war, schlug man einfach die Zahnräder heraus, die die Walze bremsten, die Steine sausten als Kontergewichte nach unten, versetzen über die Taue die Walze in rasende Bewegung und sorgten so dafür, dass die Zugbrücke förmlich emporgerissen wurde.
    Auf der Konstruktion saß eine junge Frau mit langem Haar, sie trug ein altertümliches Gewand. Sie klatschte in die Hände und lachte. Alexandra blieb vor Verblüffung stehen. Sie kannte die junge Frau von ihren Besuchen in Brünn.
    »Isolde?«, stieß sie hervor.
    Dann fiel ihr ein, weshalb Leona nach Prag gekommen war, und sie wirbelte herum, aber es war zu spät. Hände packten sie und hoben sie in die Höhe. Sie schrie. Aber welchen Sinn hatte es, um Hilfe zu schreien, wenn man sich imHerzen des Feindes befand? Undeutlich wurde ihr bewusst, dass ein hünenhafter Mann mit dem Geruch eines Stallknechts sie in einem Griff hielt, der ihre Arme an den Körper presste. Er trug

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