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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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sein, an der etwas lehnte – weitere Bilder, den eckigen Formen nach zu urteilen. Aus keinem besonderen Grund beschlich Alexandra das Gefühl, das man haben mochte, wenn man in eine menschenleere Kirche eindrang und sich anschickte, im Allerheiligsten herumzuschnüffeln. Augenblicke später wurde ihr der Grund dafür bewusst: Das Arrangement wirkte wie ein Schrein. Weitere Augenblicke später war sie davon überzeugt, dass dies kein Schrein war, der die Schönheit oder die Güte Gottes oder auch nur die sehnsüchtige Erinnerung an einen verlorenen Menschen heilig hielt, es war ein Kenotaph von Neid, Missgunst und Hass. Als sie die Hand nach dem Tuch ausstreckte, war es, als versetze es ihr einen Schlag auf die Fingerkuppen.
    Sie zog das Tuch herunter, obwohl sie es nicht wollte. Das Ziehen in ihrem Magen hatte sich in einen schmerzhaften Knoten verwandelt. Staub wallte auf. Es ekelte sie, wie er sich auf ihr Gesicht und ihre Hände legte.
    Es waren zwei Bilder von mittlerer Größe, die aneinander und an der Truhe lehnten. Über die Bilder war ein weiteres Tuch gelegt worden. Die Truhe hatte ein Schloss, doch der Schlüssel steckte darin. Sie sah sich selbst dabei zu, wie sie den Deckel öffnete …
    … und wusste plötzlich, was sie sehen würde. Eine mumifizierte Fratze mit den zwei Perlenreihen der Zähne im aufgerissenen Mund, leere Augenhöhlen, eine vertrocknete Hand wie die Klaue eines Vogels mit den langen Krallen daran, die nach dem Tod den Fingern entsprossen. Sie starrte in die Fratze, und der Mund öffnete und schloss sich auf einmal, die Klaue zuckte und klammerte sich um ihr Handgelenk, der Kopf drehte sich langsam, der leere Blick bohrte sich in den ihren.
    Die Truhe enthielt Gewänder, alten Schmuck, zerknitterte Hauben und vollkommen vertrocknete Kränzchen. Alexandra stierte mit trockenem Mund hinein. Die Erinnerung an die Leichen der beiden zwergwüchsigen Menschen, die in der Truhe in der alten Ruine gelegen hatten, war einen Moment lang so mächtig gewesen, dass sie sie tatsächlich vor Augen gehabt hatte. Ihr Herzschlag ließ jetzt jede Faser ihres Körpers schmerzhaft vibrieren. Sie nahm eine der zerknitterten Hauben heraus. Sie hatte einem Kind gehört oder einem jungen Mädchen. Der Stoff war brüchig wie altes Pergament. Auch die anderen Dinge waren aus einer anderen Welt, einer Welt der Erinnerung. Alexandra erkannte in ihnen den Besitz eines Mädchens wieder, das noch nicht wusste, dass die Welt sich ihren Träumen nicht öffnen würde, ohne einen hohen Preis dafür zu verlangen. Die Kränzchen zerbröselten unter ihrer leichten Berührung.
    Schließlich schloss sie den Deckel wieder und zupfte an dem Tuch über den beiden Bildern. Es löste sich widerwillig. Sie hob es hoch, um sehen zu können, was auf dem ersten der beiden Gemälde war.
    Diesmal schrie sie auf vor Entsetzen.
    4
    Das erste Bild zeigte das Gesicht eines Kindes. Es blickte ernsthaft aus dem Gemälde heraus, eine Haube über dem Haar, ein hochgeschlossenes weißes Gewand mit einem Rüschenkragen darunter. Es war ein Kinderbildnis Polyxena von Lobkowicz’, daran konnte es nicht den geringsten Zweifel geben. Der Maler hatte vermocht, das Grün der Augen so wiederzugeben, dass sie in dem blassen Gesicht fast leuchteten.
    Vom Auge bis herab zum Mund war die linke Gesichtshälfte eine wüste, klaffende Wunde aus zerfetzter Leinwand,herausgerissenen Fasern, abgeplatzter Farbe. Es war das gemalte Abbild der geschändeten Venus, und es sah aus, als wäre es nicht mit einem Messer, sondern mit den bloßen Fingernägeln zerrissen worden. Alexandras Hand zuckte zu ihrem Mund, um ihren Aufschrei zu ersticken. Das Bild fiel um und enthüllte das zweite, das dahinterstand. Es war erneut ein Porträt ihrer Gastgeberin, diesmal als junges Mädchen, etwa in dem Alter, dass ihr die Sachen in der Truhe hätten passen können. Es war unberührt. Alexandra zitterte am ganzen Körper.
    »Sie ist tot«, sagte eine rauchige Stimme hinter ihr.
    Alexandra fuhr herum. Ihre Gastgeberin betrachtete das Bild. Alexandra glaubte an ihrem eigenen Herzschlag zu ersticken.
    Ein weißer Arm fasste an ihr vorbei und richtete das umgefallene Bild wieder auf. Das zerfetzte Loch in der Leinwand sah beim zweiten Mal noch viel grässlicher aus. Alexandra hörte ihren eigenen Atem pfeifen.
    »Wer … wer ist das?«, stammelte sie.
    »Sie ist tot.«
    »War sie Ihre Schwester? Die Ähnlichkeit … Ich dachte …«
    Die grünen Augen richteten sich auf sie. Es

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