Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
und Blut rann über seine bloßen Füße wie bei einem Bild des Gekreuzigten. Sein bloßer Oberkörper zeigte Muskeln, die vor Pein verknotet waren, seine Arme waren verdreht wie Schiffstaue, an den Schultern waren die geborstenen Gelenke durch die Haut gedrungen. Seine Arme waren unnatürlich lang.
Agnes schlug die Hand vor den Mund und würgte. Alexandra zitterte.
»Gott im Himmel, er lebt noch«, sagte der Unterlandkämmerer mit krächzender Stimme.
Heinrich schlug die Augen auf. Sein Blick fiel auf Alexandra, dann auf Cyprian. Seine Lippen bewegten sich. Er starrte Cyprian an. Sein Gesicht hatte nichts Menschliches mehr. Etwas ruckte, und es schien, als würde einer seiner Arme noch mehr verdreht. Blut quoll in einem dicken Strahl aus der Wunde in der linken Schulter, die plötzlich weiter aufklaffte. Heinrich machte ein dumpfes Geräusch, das schlimmer anzuhören war als das grellste Schmerzgeheul. Seine Augen ließen Cyprian nicht los. Alexandra begann, hysterisch zu schluchzen.
»Geht raus«, sagte Cyprian sanft. Er nahm einem der Soldaten, der sich ebenfalls hereingedrängt hatte und mit offenem Mund auf den geschundenen Körper unter der Decke starrte, das Gewehr ab. Es war geladen. Er legte an und zielte auf Heinrichs Kopf.
»O GOOOTTT!«, heulte Alexandra.
»Geht alle raus«, sagte Cyprian. Er zielte. Heinrichs Augen blinzelten nicht. Vielleicht nickte er einmal mit dem Kopf. Vielleicht bedeuteten seine Lippenbewegungen: Du hast gewonnen.
Cyprian drückte ab.
Der Schuss dröhnte in dem engen Raum wie eine Explosion. Hinter Heinrich an der Decke war plötzlich ein sternförmiger Fleck aus Blut und Materie. Sein Kopf fiel nach vorn.Die Seile ruckten erneut, und als sei der letzte Widerstand der gefolterten Sehnen und Muskeln im Tod erloschen, erfüllte die Maschine endlich ihren Zweck. Die Kontergewichte schlugen auf dem Boden auf.
Cyprian und Andrej waren die Letzten, die den Raum verließen. Alexandra lag vor dem Turm auf dem Boden und schrie, Agnes weinte und versuchte gleichzeitig, ihre Tochter zu trösten. Wenzel saß neben Alexandra und hielt sich die Seite, nachdem ihm noch auf dem Turm einer der Soldaten ganz unzeremoniell den Bolzen aus dem Leib gezogen und gesagt hatte: »Narben machen interessant, Kleiner.«
Cyprian und Andrej wechselten einen Blick, dann drehten sie sich gemeinsam zu der Maschine und dem unsäglichen Etwas um, das von der Decke gefallen war und in seinem eigenen See aus Blut lag. Andrej schloss die Pforte. Nebeneinander stapften sie zu Agnes hinüber. Sie stand auf. Cyprian lächelte sie an.
»Ich sagte doch, ich komme immer wieder zu dir zurück.«
Agnes begann erneut zu schluchzen, mit hängendem Kopf und zuckenden Schultern. Cyprian zog sie zu sich heran. Mit der anderen Hand umarmte er Andrej, und dann standen sie alle drei ineinander verklammert da und weinten.
»Was hast du da?«, fragte Agnes zuletzt und drückte gegen Cyprians Hemd. Es knisterte.
»Das hatte der tote Pfarrer Filippo in der Soutane«, sagte Cyprian halblaut. »Es sind Seiten, die aus einem Buch herausgerissen worden sind. Ziemlich große Seiten. Wenn du sie ansiehst, wirst du feststellen, dass unter anderem die Benediktsregeln daraufstehen, allerdings nicht in dem originalen Umfang.«
Andrej zuckte überrascht zusammen.
»Ganz ruhig«, sagte Cyprian. »Filippo hat alle getäuscht. Er muss die Seiten aus dem Codex gerissen haben. Wir solltenglauben, das Original sei die Kopie. Er hat uns damit allen das Leben gerettet.«
»Und wo ist die Kopie?«
»Ich habe keine Ahnung. Heinrich hat sie irgendwo versteckt. Ich werde garantiert nicht danach suchen.«
»Was machen wir mit …« Agnes deutete mit dem Kopf auf das gewaltige Buch, das neben dem heruntergebrannten Feuer auf dem Boden lag. Die Soldaten des Unterlandkämmerers machten einen misstrauischen Bogen darum.
»Dietrichstein sollte es nach Prag zurückbringen lassen. In der Burg wäre es am besten aufgehoben. Es ist für alle Welt ja nur noch die Kopie, und dabei sollten wir es belassen.«
»Was ist aber hiermit?«, fragte Andrej und deutete auf Cyprians Brust. Cyprians Lächeln erlosch.
»Die Wächter der Teufelsbibel sind nun wir, oder nicht?«, fragte er.
Epilog
1
Papst Pauls V. dickwangiges Bauerngesicht war verschlossen. Seine kurzen Finger trommelten auf die Lehne seines Stuhles.
»Das sind die ganzen Vorwürfe?«, fragte er zuletzt.
Wolfgang Selender begann, innerlich zu beben. Das ist nicht alles, wollte er rufen.
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