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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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er den ganzen Fall noch einmal auf – und dann wird Komár entweder gerädert oder in heißem Öl zu Tode gesotten, wie es das Gesetz für Notzüchter vorsieht. Wenn er Glück hat, hängt man ihn nur auf.«
    Der Landeshauptmann wich Andrejs Blick aus. »Ich möchte sein Blut nicht an meinen Händen haben.«
    »Sie wollen vielleicht wissen, was man der jungen Frau angetan hat«, sagte der Stadtrichter. Andrej las seinen Gesichtsausdruck und hatte das Gefühl, dass er es nicht wissen wollte.
    Der Stadtrichter schob Andrej ein Blatt hin. Andrej strich es glatt; es war von den rastlosen Händen des Richters zerknittert, aber nicht so, dass man es nicht hätte lesen können. Er brauchte diese Geste, um genügend Mut zu fassen. Unvermittelt sah er sich selbst vor über zwanzig Jahren vor der Leiche einer jungen Frau auf dem Boden knien, ein halb verhungertes Kind im Arm. Er hasste es, wenn diese Erinnerungen kamen, sie besudelten den Rückblick auf die guten Zeiten, und es war ohnehin schwer, die Erinnerung an diese aufrechtzuerhalten, weil sie so kurz gewesen waren. Er holte Atem und las.
    Als er fertig war, las er es noch einmal. Er war sich der vier Augenpaare bewusst, die ihn musterten. Er wusste, dass seinem Gesicht keine Regung anzumerken war. Die anderen wussten nicht, welchen Kraftaufwand dies für ihn bedeutete. Schließlich blickte er auf.
    »Hier steht nichts davon, dass Komár nackt gewesen wäre«, sagte er.
    »Er kann sich auch nur die Hosen runtergezogen haben«, sagte der Bürgermeister.
    »Dann stünde es hier. Wer auch immer von Seiner Gnaden Gästen den Bericht abgegeben hat, er war ein genauer Beobachter.«
    Der Bürgermeister brummte: »Er hatte Blut an den Händen.«
    »Hatte er auch welches am Körper? Er müsste vollkommen durchnässt gewesen sein davon. Hatte er welches an seinem Glied? Der Beschreibung hier zu folgen …« Andrej zuckte mit den Schultern. Das Schweigen wurde groß. Warum tue ich mir das an?, fragte er sich und versuchte vergebens, die Bilder zu verdrängen, die die Lektüre des Berichts heraufbeschworen hatte.
    »Nein«, sagte der Landrichter.
    »Er kann es sich abgewaschen haben.«
    »Der Bericht sagt, die Jagdgesellschaft habe ihn direkt neben der Leiche gefunden, nicht irgendwo am Wassertrog für die Ziegen. Und Komárs Kleidung war trocken.«
    »Er kann es sich unterwegs abgewischt haben, auf dem Weg zur Stadt.«
    »Hier steht, die Herren hätten ihn niedergeschlagen und gefesselt. Komár sei erst kurz vor den Stadttoren wieder zu sich gekommen.«
    »Ach, verdammt noch mal!«, rief der Bürgermeister.
    »Bitte«, sagte Vilém Vlach. »Worüber reden wir hier eigentlich? Wozu raten Sie uns, Herr von Langenfels? Wozu ratenSie uns in Ihrer Eigenschaft als Vertrauter von Seiner Majestät Kaiser Matthias?«
    Viléms Hand schwebte über einem Blatt Papier, das mit ein paar hastigen Worten bekritzelt war – das Protokoll. In Viléms Hand zitterte ein Federkiel. Andrej machte schmale Augen. Er hatte keine Lust, die Scharade sogar hier zu spielen, wo sie unter sich waren. Aber dann verstand er, dass die Männer es brauchten. Sie mussten sich daran erinnern können, dass der Vertraute des Kaisers ihnen geraten hatte, den Ziegenhirten einzusperren . Sonst würden sie sich ewig an die Feigheit erinnern, die sie hier an den Tag legten, so wie Andrej sich ewig an den Anblick des rußgeschwärzten, leblosen Gesichts erinnern würde, aus dem der Regen zögernd den Dreck wusch.
    »Was sagt Komár selbst dazu?«
    Die Männer blickten ihn mit offenen Mündern an. »Was?«
    »Was sagt Komár zu den Anschuldigungen? Er muss doch etwas gesagt haben.«
    »Er hat gesagt, er war es nicht.«
    »Ist das alles?«
    Andrejs Gesprächspartner blickten sich an.
    »Ist das alles?!«, fragte Andrej laut.
    Zuerst dachte Andrej, es sei ein riesiger, zerfledderter Vogel, der auf dem Boden hockte, dann, als die hageren Gliedmaßen sich entfalteten und der Kopf sich aus der Deckung der Arme erhob, die ihn umfasst hielten, dachte er, es sei ein Affe. Schließlich sah es halbwegs wie ein Mensch aus, der seit vielen Tagen in der Dunkelheit eines Kerkers gefangen gehalten wurde, ohne dass er verstanden hätte, warum, und der mit Anstrengung genügend Grips zusammenbrachte, um zu erkennen, dass seine Besucher sich mit ihm befassten. Er strahlte Angst wie einen Gestank aus. An seinem Fußgelenk rasselte eine Kette. Man hatte ihm das Haar geschoren; es war bereits in einem wolligen Flaum nachgewachsen.

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