Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Andrejschätzte ihn auf nicht viel älter als zwanzig Jahre. Ungefähr Wenzels Alter, dachte er. Ein aberwitziges Schicksal hat dich davor bewahrt, zu so etwas Ähnlichem zu werden wie dem hier, mein Sohn, dachte Andrej. Vor allem hat es dich davor bewahrt, schon als Säugling zu sterben.
»Komár …«, begann der Landeshauptmann.
Komárs Gesicht zuckte. »O Euer Gnaden, Euergnadeneuergnaden …«, murmelte er und machte ein paar fahrige Bewegungen. Ein Idiotenlächeln stahl sich auf sein Gesicht und verschwand wieder, als er den Blick auf den Stadtrichter heftete.
»Komár, dieser Mann hier«, der Landeshauptmann zeigte auf Andrej, »ist ein Abgesandter des Kaisers.«
»O Majestät, o Euer Gnaden, o Majestät …« Die fahrigen Bewegungen bekamen etwas Abgehacktes. Andrej sah zu Boden, weil er den Blick des Gefangenen nicht aushielt.
»Er möchte wissen, was du gesehen hast«, sagte der Stadtrichter.
Komár starrte von ihm zu Andrej und zurück. Sein Mund begann zu arbeiten, dann ruckte sein Kopf hin und her. »Nein«, grunzte er. »Neinneinneinnein …!« Aus dem Rucken wurde ein Kopfschütteln, dass das Genick knackte. Das Schütteln war so grob, dass Spucke umherflog. »Neinneinnein …!«
»Schluss damit!«, rief der Stadtrichter. Komár zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück, dann duckte er sich.
»Komár, sag Seiner Exzellenz, dem Botschafter des Kaisers, was du gesehen hast.«
»O Majestät …« Komár hob die Hände und streckte sie in Richtung Andrej aus, die Handflächen nach oben. »O Majestät …«
Andrej drehte sich brüsk um. Er funkelte den Stadtrichter an. »Gehen wir!«, zischte er. »Lassen wir den armen Kerl in Frieden!«
Der Stadtrichter schüttelte den Kopf.
»Komár, was hast du gesehen?«
Komárs Hände blieben nach Andrej ausgestreckt. Andrej wurde sich bewusst, dass er mehrere Schritte zurückgetreten und Komár ihm gefolgt war, bis sich die Kette an seinem Fußgelenk spannte. Komárs Kopf machte eine ruckende Bewegung.
»Komár, was hast du gesehen?«
»N… nein. N… nein. Neinneinnein …!«
»Komár, was hast du gesehen?«
Komár nahm das schreckliche Kopfrucken wieder auf. Seine Hände sanken herab, und sein Körper krümmte sich.
»Komár, was hast du gesehen?«
»Nein! Nein! Nein …« Komárs Stimme reduzierte sich zu einem Wimmern, kaum dass er sie erhoben hatte. Er sank in sich zusammen, die Knie hochgezogen, die Arme um den Kopf geschlungen, die Schultern angespannt. »Nein«, wimmerte er. »Ich war’s nich’! Ich war’s nich’!«
»Komár, was hast du …«
»DEN TEUFEL!«, schrie Komár. Sein Kopf fuhr hoch, und sein Blick durchbohrte Andrej. Die Angst darin machte Andrej atemlos und ließ ihn erschauern. »Ich hab den TEUFEL GESEHEN!« Er begann zu schluchzen. »O Majestät … o Euer Gnaden … ich hab den Teufel gesehen, so wahr mir Gott helfe, ich hab ihn gesehen, er hat sie umgebracht, er hat ihr den Leib aufgeschlitzt, und das Blut … o Majestät, das viele Blut … Der Teufel war’s, nicht ich, ich war’s nich’, der Teufel hat’s getan. Ich hab IHN GESEHEN, DER TEUFEL WAR’S, MAJESTÄT, UND ER HAT GELACHT UND GETANZT!«
»Das kommt jedes Mal dabei raus«, sagte der Stadtrichter, als sie wieder vor der Tür zum Stadtverlies standen. Er machte eine abwehrende Geste, aber seinem Gesicht war anzusehen, dass er bei Weitem nicht so unberührt war, wie er tat.
»Er war es nicht«, sagte Andrej.
»Bitte«, erwiderte Vilém. »Das hatten wir doch schon.«
»Hier ist ein Verbrechen geschehen«, sagte Andrej, »aber statt es aufzuklären, vertuscht ihr es aus Feigheit und aus politischem Opportunismus. Ihr macht es sogar noch größer. Ich habe die Geschichte von dem Baumeister, der das mittlere Türmchen über dem Rathausportal aus Wut über die Verlogenheit des Brünner Stadtrats so verkrümmt gehauen hat, immer für ein Märchen gehalten. Heute beginne ich, meine Zweifel zu überdenken. Vilém, ich habe gern mit Ihnen Geschäfte gemacht, aber wenn der Preis dafür ist, dass ich an eurer Feigheit teilhabe, dann kann ich ihn mir nicht leisten. Ihr müsst eure Entscheidung selbst fällen.«
Andrej wandte sich ab und stapfte davon. Sie blieben vor der Tür stehen und starrten ihm nach. Falls sie ihm noch etwas nachriefen, hörte er es nicht. Was er hörte, war das schmerzhafte Klopfen seines Herzens – und das Echo eines anderen, fremden, mächtigen Pochens, das zu hören er geglaubt hatte, als er in der Kerkerzelle
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