Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
gestanden und einen Atemzug lang den Gedanken erwogen hatte, nachzugeben und dafür zu sorgen, dass ein unschuldiger Mensch für den Rest seines Lebens eingesperrt wurde.
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Agnes erwachte vom Duft frisch gebackenen Brots. Sie lächelte im Halbschlaf: Cyprians Werk, kein Zweifel. Seit Jahren war er bei allen Bäckern in der Prager Altstadt bekannt: ein freundlich grinsender, vierschrötiger Mann, der am frühen Morgen in der Backstube auftauchte und unter der frischen Ware auszusuchen begann, noch bevor draußen der Esel aufgewacht war, der den Karren zum Markt hätte ziehen sollen. Ihm den Zutritt zu verwehren war sinnlos. Wo Cyprian Khlesl nicht gehen mochte, da konnte ihn auch niemand zum Abschied bewegen, es sei denn mit Waffengewalt. Sie war sicher, dass er das Gewerbe der Bäcker in der Stadt besser kannte als der zuständige Ratsherr oder der Zunftmeister – und das Gewerbe ihn. Nachdem sie sich mit ihm abgefunden hatten, hatten sie bald angefangen, ihn zu schätzen, zumal sich herausstellte, dass dieser merkwürdige Käufer im Morgengrauen genau über die Qualität der Waren Bescheid wusste und einen Wecken, dessen Teig mit Sand gestreckt worden war, allein an der Textur seiner Oberfläche erkannte. Wenn Agnes daran gezweifelt hätte, dass Cyprian auf seine halb schweigsame, halb spitzbübische Weise längst zu einer Art grauer Eminenz des Bäckerhandwerks in Prag geworden war, dann wäre dieser Zweifel spätestens an dem Tag zerstreut worden, als der Zunftmeister bei ihnen vorgesprochen und feindselig gefragt hatte, warum Cyprian sich nicht um seine Position bewarb, wenn schon sein Name in aller Munde geführt wurde.
Nicht dass Cyprian auch nur das geringste Interesse am Bäckerhandwerk gehabt hätte. Tatsächlich war es schade, fand Agnes. Er hätte wahrscheinlich einen besseren Erben für die elterliche Bäckerei in Wien abgegeben als sein fleißiger, brummiger, phantasiearmer Bruder. Und dennoch … Sie drehte sich auf die Seite und reckte sich genüsslich: Cyprian war in seinem Leben ein Schutzengel, ein Außenseiter und der Agent seines Onkels gewesen und im Augenblick die einzige Hoffnung seines greisen Schwiegervaters, dass das Handelshaus »Wiegant & Khlesl« – das vor fünf Jahren in »Wiegant, Khlesl & Langenfels« umbenannt worden war – auch die nächsten Jahre überdauern würde. Die Zeiten hatten sich verschlechtert, diejenigen, die es den großen Handelshäusern wie den Welsern, Fuggern oder Loitz’ hatten nachmachen wollen und Fürsten unterstützt hatten, waren daran bankrottgegangen. Im Fall der Gebrüder Loitz, die ihre Kredite an denAdel mit Anleihen bei den einfachen Leuten finanziert hatten, waren gar Tausende von Unschuldigen in den Ruin gerissen worden. Wer gedacht hatte, sein Geld durch Sparen in Sicherheit zu bringen, hatte erfahren, dass die Münzverschlechterung, der die meisten Fürstenhäuser unterlagen, seinen Besitz verringerte. Tatsächlich war der Unterschied zwischen den von ihren Herren angeleiteten Münzmeistern und den wirklichen Falschmünzern unbeträchtlich. Letztere wurden, wenn man sie erwischte, in heißem Öl zu Tode gesotten, das war alles. Wer mit einer der im Reich gebräuchlichen Währungen auf einem Markt in Frankreich, England oder Schweden einkaufen wollte, konnte froh sein, wenn man ihm nicht faule Ware an den Kopf warf.
Das einzige Gewerbe, das dem Niedergang halbwegs entronnen war, war dasjenige, welches Lebensmittel zum Zweck hatte. Großen Appetit zu haben war zu einem persönlichen Aushängeschild geworden, Vielfraße zu einer Zirkusattraktion. Wo sich vor zwanzig Jahren die Jacken noch über Goldketten und eingenähten Silberplatten gespannt hatten, taten sie dies nun über feisten Wänsten. Die einstmals künstlich ausgestopften Gansbäuche in Rüstungsteilen und Wämsern waren zu einer Notwendigkeit geworden, wenn ihr Träger darin weiterhin Platz finden wollte. Und wer essen wollte, musste auch trinken, um es rutschen zu lassen. Agnes erinnerte sich, wie sie gelacht hatte, als die Nachricht die Runde machte, es sei eine Gesellschaft gegen die Trunksucht gegründet worden, aber leider habe sich deren erster Präsident kurz danach zu Tode getrunken. Die Situation war weniger lustig, wenn man daran dachte, dass es die schlemmenden, ständig betrunkenen Herrschaften waren, in deren gichtigen Händen das Schicksal des Reichs lag.
Agnes tastete zu Cyprians Bettseite hinüber. In der Regel schlüpfte er an den Tagen, an denen er sich
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